Das Bundesverfassungsgericht weigert sich europäisches Datenschutzrecht anzuwenden - Klage wegen Missachtung europäischer Datenschutzstandards eingereicht
Das Bundesverfassungsgericht sieht sich selbst einer Klage vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe ausgesetzt, weil es die Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und aktuelle Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu deren Auslegung missachtet. "Es ist bemerkenswert, dass ausgerechnet das höchste deutsche Gericht sich weigert, die hinreichend klare Rechtsprechungslinie des EuGH zum Auskunftsrecht nach Art. 15 DSGVO umzusetzen", erklärt der Mecklenburger Rechtswissenschaftler Marcus Seyfarth.
"Der EuGH hat 2023 in drei wegweisenden Entscheidungen (Urteil vom 04.05.2023 - C-487/21, Urteil vom 22.06.2023 - C‑579/21, Urteil vom 26.10.2023 - C-307/22) klargestellt, dass Betroffene Anspruch auf eine erste kostenfreie Kopie ihrer personenbezogenen Daten haben. Das Bundesverfassungsgericht ignoriert diese Rechtsprechung und verweigert Bürgern ihre europäischen Rechte." Konkret geht es um die Weigerung des Gerichts, ihm als Bürger Einblick in seine beim Gericht gespeicherten Daten zu gewähren. Statt der europarechtlich festgelegten umfassenden Auskunft erhielt er lediglich einen oberflächlichen Datenauszug. Zudem erfolgte selbst diese unvollständige Auskunft erst deutlich nach Ablauf der Monatsfrist.
"Die Gerichtsbarkeit steht nicht über dem Gesetz, schließlich muss die Privatwirtschaft sich auch an die europäischen Vorgaben halten und die nötigen Informationen innerhalb der Frist zur Verfügung stellen. Wenn sich nun aber das Bundesverfassungsgericht nicht an europäisches Recht hält, untergräbt das das Vertrauen in den Rechtsstaat insgesamt", betont Seyfarth. "Transparenz und Datenschutz sind keine Gnade, die Gerichte und Behörden nach Belieben gewähren können, sondern Rechte aller Bürger in Europa."
Die Klage hat grundsätzliche Bedeutung für die Frage, inwieweit deutsche Gerichte bei der Verarbeitung personenbezogener Daten sämtliche personenbezogene Unterlagen aus den Gerichtsakten kostenfrei herausgeben müssen. Dies ist konkret in Art. 15 Abs. 1 und 3 und in Art. 12 Abs. 3 DSGVO normiert. Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe wird in den kommenden Monaten erwartet.
Das Bundesverfassungsgericht steht mit seiner Haltung zwar an der Spitze, aber nicht alleine. Ebenso hat Seyfarth das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern und das Sozialgericht Schwerin wegen ähnlich unvollständiger und verspäteter Auskünfte am heutigen Tag verklagt.