Die rechtsstaatliche Verwaltung lebt von der gleichmäßigen und nachvollziehbaren Anwendung des Rechts. Dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt ein aktueller Fall aus Mecklenburg-Vorpommern, der exemplarisch offenbart, wie Behörden durch mangelnde Sorgfalt das Vertrauen in den Rechtsstaat beschädigen.
Der Ausgangspunkt: Verweigerter Kostenerlassantrag trotz klarer Rechtslage
Ein Empfänger von Grundsicherung beantragt den Erlass von Gerichtskosten in Höhe von 66 Euro, die im Berufungsverfahren aufgrund eines zuvor gestellten und ordnungsgemäßen PKH-Antrags von vornherein eigentlich gar nicht erst hätten anfallen dürfen. Die Vorinstanz hatte bereits PKH gewährt - ein deutlicher Hinweis auf die bestehende Bedürftigkeit. Was folgt, ist ein Lehrstück behördlicher Ignoranz:
Missachtung des Untersuchungsgrundsatzes (§ 24 VwVfG M-V)
Das Landesamt für Finanzen M-V ignorierte die bereits aktenkundige Bedürftigkeit des Antragstellers, an der sich zwischenzeitlich auch keine Verbesserung ergeben hatte. Besonders pikant: In einem Verfahren vom Anfang des letzten Jahres hatte dieselbe Behörde die wirtschaftliche Notlage bereits anerkannt. Was die andere Sachbearbeiterin dort entschieden hatte, schien im hiesigen Fall aber niemanden zu interessieren, obwohl hierauf ausdrücklich unter Angabe des Kassenzeichens Bezug genommen wurde.
Ermessensausfall und Verletzung der Begründungspflicht (§ 39 VwVfG M-V)
Die Bescheide offenbaren eine erschreckende Oberflächlichkeit: Statt einer einzelfallbezogenen Prüfung erfolgte eine schematische Ablehnung. Aus der Begründung ging etwa hervor, dass man sich einfach einer Vorlage aus einem ganz anderen Fall bediente, in dem der dortige Antragsteller Witwenrente bezog. Das war hier gar nicht einschlägig, da der Antragsteller nie geheiratet hatte. Einen Teilerlass oder die hilfsweise gestellten Anträge auf Niederschlagung und Stundung sparte man sich gleich ganz zu prüfen.
Verstoß gegen den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung (Art. 3 Abs. 1 GG)
Besonders gravierend wiegt der Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz: Die Behörde hatte - wie bereits erwähnt - in einem vergleichbaren Fall des gleichen Antragstellers bereits dessen wirtschaftliche Notlage anerkannt und entsprechende Maßnahmen ergriffen. Von dieser Verwaltungspraxis ohne sachlichen Grund abzuweichen, verstößt gegen den verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung.
Missachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und Wirtschaftlichkeitsgebots
Die Behörde provoziert durch ihr Versagen ein Gerichtsverfahren (VG Schwerin, Az.: 1 A 3553/24 SN), dessen Kosten den streitigen Betrag um ein Vielfaches übersteigen werden. Ein klassischer Fall von Ressourcenverschwendung auf Kosten der Steuerzahler! Mit etwas mehr Augenmaß hätte sich das durch einen Teil-Erlass und eine Stundung bzw. Niederschlagung des Restbetrags vermeiden lassen.
Die Rolle der Prozesskostenhilfe im Verwaltungsprozess
Besonders bedenklich erscheint, dass die Behörde die Bedeutung der bereits gewährten Prozesskostenhilfe völlig verkennt. Die PKH-Bewilligung dokumentiert die gerichtlich festgestellte Bedürftigkeit des Antragstellers. Diese Feststellung einfach zu ignorieren, verstößt gegen den verfassungsrechtlich garantierten effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG).
Reaktion der Behördenleitung verschärft das Problem
Statt die offenkundigen Missstände angemessen aufzuarbeiten, reagierte die Behördenleitung auf eine detaillierte Dienstaufsichtsbeschwerde mit einer oberflächlichen Zurückweisung. Dieses schlichte Leugnen eines Missstandes lässt auf strukturelle Führungsmängel schließen.
Fazit:
Der Fall zeigt exemplarisch, wie eine Behörde gegen nahezu alle Grundsätze guter Verwaltung verstößt: Vom Untersuchungsgrundsatz über die Begründungspflicht bis hin zum Wirtschaftlichkeitsgebot. Er offenbart ein systematisches Versagen, das dringend einer übergeordneten Korrektur bedarf.
Es bleibt zu hoffen, dass entweder die Fachaufsicht oder das Verwaltungsgericht Schwerin hier korrigierend eingreift. Eine Reform der Verwaltungskultur erscheint dringend geboten - weg von ignoranten Rechtsbrüchen, hin zu einer bürgerorientierten, einzelfallgerechten Verwaltungspraxis.
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