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Ein Sieg für den Rechtsstaat: Verwaltungsgericht Greifswald erklärt Polizeieinsatz am Wossidlo-Gymnasium für rechtswidrig

VG Greifswald gibt Schülerin Recht

Vor fast genau einem Jahr habe ich an dieser Stelle in mehreren Beiträgen über den kontroversen Polizeieinsatz am Wossidlo-Gymnasium in Ribnitz-Damgarten berichtet (auch unter "Schlumpfgate" bekannt). Damals kritisierte ich den von der rot-roten Landesregierung an den Tag gelegten „illiberalen, obrigkeitsstaatlichen Geist“ und mahnte an, dass der Schutz der Verfassung nicht zu einem Bruch mit ebenjener führen dürfe. Die Prognose, dass erst ein Gerichtsurteil der betroffenen Schülerin Genugtuung verschaffen würde, hat sich nun bewahrheitet. Das Verwaltungsgericht Greifswald hat mit seinem Urteil vom 1. Juli 2025 (Az: 2 A 1084/24 HGW) ein klares und unmissverständliches Zeichen für die Grundrechte und gegen staatliche Übergriffigkeit gesetzt.

Die Entscheidung des Gerichts: Eine schallende Ohrfeige für die Landesregierung

Laut der heute veröffentlichten Pressemitteilung hat das Verwaltungsgericht die sogenannte „Gefährderansprache“ gegen die Schülerin für rechtswidrig erklärt. Die Begründung ist ebenso einfach wie überzeugend: Die Art und Weise der Durchführung war unverhältnismäßig. Das Gericht stellt fest, dass es mildere Mittel gegeben hätte, „als die Schülerin sofort aus dem laufenden Unterricht zu holen und mit ihr vor den Augen der Schulöffentlichkeit in Begleitung von Polizeibeamten ins Sekretariat zu gehen.“

Diese richterliche Feststellung bestätigt exakt die Kritik, die von liberal-konservativer Seite von Anfang an geäußert wurde. Wie bereits in den letztjährigen Beiträgen ausgeführt, ist jegliches polizeiliche Einschreiten ein scharfes Schwert und bei Minderjährigen mit besonderer Vorsicht zu handhaben, insbesondere wenn es um straflose Meinungskundgaben in der Freizeit geht. Das Gericht hat nun offiziell bestätigt, was der gesunde Menschenverstand und ein grundlegendes Verständnis des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gebieten: Eine Schülerin wegen nicht strafbarer Äußerungen aus dem Unterricht zu zerren und sie in einer Weise zu behandeln, die zwangsläufig zu einer öffentlichen Stigmatisierung führt, ist in einem Rechtsstaat inakzeptabel.

Die hilflosen Rechtfertigungsversuche sind gescheitert

Erinnern wir uns: Innenminister Christian Pegel und die Polizei versuchten, die Maßnahme im Nachhinein durch eine semantische Umdeutung zu verharmlosen. Aus der „Gefährderansprache“ wurde ein „Aufklärungsgespräch mit präventivem Charakter“. Das Gericht hat diesem rhetorischen Manöver nun eine Absage erteilt. Unabhängig von der gewählten Begrifflichkeit bleibt die Maßnahme ein Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen, der der strengen Prüfung der Verhältnismäßigkeit standhalten muss. Und diese Prüfung hat er nicht bestanden.

Das Urteil ist damit eine schallende Ohrfeige für das Innen- und das Bildungsministerium, die das Vorgehen der Behörden monatelang verteidigt haben. Es entlarvt die im Landtag von der rot-roten Koalition vorgetragenen Argumente als das, was sie waren: Der untaugliche Versuch, einen offensichtlichen Fehlgriff mit dem pauschalen Verweis auf den Kampf gegen „Rechtsextremismus“ und „Desinformation“ zu rechtfertigen. Der Schutz der Demokratie wurde hier als Totschlagargument missbraucht, um rechtsstaatliche Prinzipien auszuhebeln.

Ein Lehrstück über die Wehrhaftigkeit der Grundrechte

Der Fall bleibt ein Lehrstück, das weit über Mecklenburg-Vorpommern hinaus von Bedeutung ist. Er zeigt, dass der Rechtsstaat zumindest bei gegebener Öffentlichkeitswirksamkeit funktioniert und dem Einzelnen Schutz gegen staatliche Willkür bietet, wenn dieser – wie die Schülerin und ihre Familie es mutig getan haben – den Rechtsweg beschreitet.

Die Entscheidung des VG Greifswald ist eine Mahnung an alle staatlichen Stellen, insbesondere an Schulen und Polizeibehörden:

Die Meinungsfreiheit ist kein Gnadenrecht: Sie gilt auch für Schüler und schützt auch unbequeme, provozierende oder als politisch unkorrekt empfundene Äußerungen, solange die Grenze zur Strafbarkeit nicht überschritten wird. Die vage Behauptung von „Chiffrierungen“ reicht für einen Grundrechtseingriff nicht aus.

Die Schule ist kein Ort für Gesinnungskontrolle: Politische Bildung lebt von der kontroversen Debatte, nicht von der Disziplinierung durch Uniformierte. Pädagogische Probleme müssen mit pädagogischen Mitteln gelöst werden, nicht mit der Polizei. Der von der AfD im Landtag eingeforderte Respekt vor dem Beutelsbacher Konsens wurde hier mit Füßen getreten.

Verhältnismäßigkeit ist das oberste Gebot: Bevor der Staat mit der Polizei in einer Schule erscheint, müssen alle milderen Mittel (Gespräch mit den Eltern, pädagogische Intervention durch Lehrer) nicht nur in Erwägung gezogen, sondern ausgeschöpft werden.

Und jetzt, Landesregierung?

Mit dem Urteil liegt der Ball nun wieder im Feld der Politik. Eine Entschuldigung bei der Schülerin und ihrer Familie durch die Bildungsministerin und den Innenminister wäre das Mindeste, was man an politischer Kultur erwarten dürfte. Es bleibt abzuwarten, ob die Landesregierung die Größe besitzt, ihren Fehler einzugestehen, oder ob sie – wie die offene Möglichkeit des Antrags auf Zulassung der Berufung andeutet – den Fall in die nächste Instanz treibt, um eine längst verlorene Position zu verteidigen.

Das Urteil ist mehr als nur eine juristische Korrektur. Es ist eine Bestätigung für alle, die daran glauben, dass eine liberale Demokratie ihre Stärke nicht aus Einschüchterung und obrigkeitsstaatlichem Handeln, sondern aus der Kraft der Freiheit und der Geltung des Rechts für alle bezieht. Es ist ein Sieg für den Rechtsstaat und eine Niederlage für jene, die unter dem Deckmantel des Demokratieschutzes die Axt an die Wurzeln der Freiheit legen. Voltaire hätte seine Freude daran.

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