Der Landtag Mecklenburg-Vorpommern debattierte heute erneut kontrovers über den Vorfall am Wossidlo-Gymnasium in Ribnitz-Damgarten, hierzu hatten Anträge der rot-roten Landesregierung als auch der AfD Anlass geboten.
Interessanterweise war die CDU Mecklenburg-Vorpommerns als Oppositionspartei zu der Sache in den Medien bislang kaum präsent. Deren bildungspolitischer Sprecher Torsten Renz betonte in der heutigen Debatte, die CDU stehe in der Mitte und würde sich mit dem Vorfall inhaltlich auseinandersetzen, möchte aber zugleich den gesellschaftlichen Zusammenhalt gewährleisten. Erschwerend würde der Umstand hinzu treten, dass der Gegenstand der Vorwürfe bislang als Verschlusssache eingestuft wurde. Renz kritisierte einerseits die Instrumentalisierung des Vorfalls durch die AfD und nannte die Reduzierung auf das Schlumpf-Video eine Verharmlosung. Die zuvor geäußerte Kritik an der Landesregierung betraf aber vor allem die mangelnde Transparenz, die Renz in Richtung des Bildungs- und des Innenministeriums erneuerte. Aus liberal-konservativer Sicht wäre eine nachdrücklichere Kritik an der Landesregierung, dem Handeln des Schulleiters und der Polizei wünschenswert gewesen.
Die AfD hatte in ihrem von der Mehrheit abgelehnten Antrag die Landesregierung dazu aufgefordert, Schulämter und Schulleitungen dezidiert darauf hinzuweisen, dass der Beutelsbacher Konsens nach wie vor in vollem Umfang innerhalb des Unterrichts- und Erziehungsprozesses einzuhalten und die Schule von politischer Polarisierung freizuhalten sei. Daneben sei sie daran zu erinnern, dass die Schüler hinsichtlich ihrer religiösen und politischen Orientierung Meinungsfreiheit genießen und keinerlei gegen sie gerichtete Maßnahmen zu befürchten hätten, solange sie sich im Bereich der zu gewährenden Grundrechte und auf dem Boden des Grundgesetzes bewegten.
Der Antrag der rot-roten Landesregierung hingegen enthielt Formulierungen, die teils sehr allgemein und unkonkret gehalten waren. Es bleibt unklar, was genau etwa unter "rechtspopulistischen Kampagnen" und "Desinformation" verstanden wird und wo hier die Grenze zur legitimen Meinungsäußerung gezogen wird. Dies öffnet Tür und Tor für eine ausufernde und mithin beliebige Interpretation. Dass "Positionen oder Verhaltensweisen, die diesen Werten widersprechen oder diese angreifen, deshalb auch nicht neutral zu behandeln" seien, ist heikel. Hier besteht die Gefahr, dass abweichende Meinungen unterdrückt werden. Eine liberale Demokratie muss gerade Meinungen aushalten, die den Mainstream kritisieren. Dass "Angriffe auf Fachkräfte, die sich für die Einhaltung unserer verfassungsrechtlich verbürgten Werte einsetzen", pauschal verurteilt werden, ist einseitig. Auch das Vorgehen staatlicher Stellen muss der Kritik und öffentlichen Debatte unterliegen. Auffällig ist, dass zwar von "Gefahren von Rechtsextremismus" die Rede ist, ein Problembewusstsein für Linksextremismus oder Klimaextremismus hingegen fehlt. Extremismus jeder Art sollte thematisiert werden. Auf den konkreten Fall in Ribnitz-Damgarten geht der Antrag der Landesregierung nicht ein. Gerade hier wäre aber eine differenzierte Betrachtung nötig gewesen: Jegliches polizeiliche Einschreiten ist ein scharfes Schwert und bei Minderjährigen besonders heikel. Polizeiliche Maßnahmen an Schulen dürfen nicht leichtfertig eingesetzt werden, um etwa missliebige Meinungsäußerungen zu unterdrücken. Hier hätte die Verhältnismäßigkeit des Vorgehens hinterfragt werden müssen. Es kann nicht angehen, dass Schüler wegen privater Äußerungen in sozialen Medien mit der Polizei rechnen müssen. Die Meinungsfreiheit muss gerade auch für junge Menschen gelten. Die Schule darf nicht zum Ort der politischen Disziplinierung verkommen. Die Drucksache betont zwar viele richtige Punkte wie den Schutz der Demokratie und die Bedeutung politischer Bildung, aber in der Tendenz atmet sie einen illiberalen, obrigkeitsstaatlichen Geist und lässt ein Problembewusstsein für die Gefährdung der Meinungsfreiheit durch einen übergriffigen Staat gerade vermissen. Die Landesregierung verkennt damit einen wesentlichen Teil einer wehrhaft-liberalen Demokratie, nämlich dass diese für Toleranz und Pluralität einstehen muss - auch und gerade gegenüber Positionen, die dem Mainstream unbequem sind. Eine Entschuldigung an die Betroffene enthielt die Drucksache jedenfalls nicht, Genugtuung dürfte diese erst mit ihrer Fortsetzungsfeststellungsklage vor dem VG Greifswald erreichen. Daneben legte ihr Anwalt Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Schulleiter beim zuständigen Schulamt und Strafanzeige gegen den Denunzianten ein.
Die Polizei als auch der Innenminister sprechen im Übrigen mittlerweile nicht mehr von einer "Gefährderansprache" sondern von einem "Aufklärungsgespräch mit präventivem Charakter" - ob diese terminologische Umdeutung auch etwas an der rechtlichen Bewertung ändert, wird der Ausgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zeigen. Jedenfalls dürfte auch für ein solches "Aufklärungsgespräch" die Maßgabe gelten, dass ein solches verhältnismäßig sein muss. Und wo eine Gefahr für eine Straftat bereits verneint wurde, dürfte auch die Erforderlichkeit für ein solches Gespräch mit der Polizei nicht bestanden haben. Schließlich gab es mehrere mildere, gleich geeignete Mittel (z.B. Elterngespräch).
Ja, es ist richtig und wichtig, dass unsere Demokratie wehrhaft ist und sich gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen zur Wehr setzt. Gerade Schulen haben hier eine wichtige Funktion. Allerdings darf der Schutz der Verfassung nicht zum Bruch mit der Verfassung führen. Eine liberale Demokratie muss immer auch andere Meinungen aushalten - selbst wenn sie einem nicht passen. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gilt nicht nur für Ansichten, die von einer Mehrheit geteilt werden, sondern gerade auch für kontroverse, provozierende oder auch extreme Positionen. Bloße "Chiffrierungen, die im rechtsextremen Spektrum genutzt werden", wie es im Fall der Schülerin hieß, reichen für einen staatlichen Eingriff nicht aus. Natürlich müssen Schulen gegen antidemokratische Umtriebe vorgehen. Aber das muss zuallererst mit pädagogischen Mitteln geschehen und nicht mit der Keule des Staatsschutzes durch Uniformierte. Schulen sollten Orte sein, an denen auch kontroverse politische Debatten möglich sind. Alles andere wäre ein Armutszeugnis für die politische Bildung. Umso bedenklicher stimmt es, wenn Kritik an einem solch fragwürdigen Behördenvorgehen reflexhaft als "Demokratiefeindlichkeit" abgebügelt wird - wie hier von Seiten der rot-roten Landesregierung oder durch die Grünen als "ein Angriff auf die Schule als demokratische Institution" gewertet wird. Natürlich gibt es interessierte Kreise, die solche Fälle politisch zu instrumentalisieren versuchen. Aber das ändert nichts daran, dass die Zweifel am Vorgehen der Polizei in diesem Fall berechtigt sind. Eine Demokratie muss sich immer auch an rechtsstaatlichen Grundsätzen messen lassen. Auch der Verweis auf die "Gefahren von Rechtsextremismus" wirkt in diesem Zusammenhang wie ein Totschlagargument. Natürlich ist Rechtsextremismus eine Bedrohung. Aber die Lösung kann nicht sein, die Meinungsfreiheit einzuschränken und rechtsstaatliche Prinzipien über Bord zu werfen. Im Gegenteil: Eine starke Demokratie muss auch mit extremen Positionen souverän und gelassen umgehen können. Alles andere spielt nur den Antidemokraten in die Hände.
Der Fall der Schülerin zeigt exemplarisch, wie wichtig eine differenzierte Debatte über die Grenzen der Meinungsfreiheit ist. Demokratieschutz und Grundrechte sind kein Widerspruch, sondern bedingen einander. Eine liberale, wehrhafte Demokratie braucht mündige Bürger und keine obrigkeitsstaatliche Gesinnungskontrolle. Gerade in Schulen sollte die Erziehung zu Toleranz und Pluralität im Vordergrund stehen - und nicht die politische Disziplinierung. Oder um es mit Voltaire zu sagen: "Ich mag verdammen was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst." Die Debatte wirft bislang mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Sie zeigt, wie schwierig die Abwägung zwischen dem Schutz der Demokratie und der Achtung von Grundrechten wie der Meinungsfreiheit im Einzelfall sein kann. Um solche Fälle angemessen zu beurteilen, braucht es mehr Transparenz als die Landesregierung derzeit zu geben bereit ist. So verweigert sie gegenüber seylaw.blogspot.com immer noch die Beantwortung wichtiger Fragen, obwohl hierauf ein verfassungsunmittelbarer Anspruch besteht. Der Verdacht, dass mit der Keule des Rechtsextremismusvorwurfs ein Überreagieren der Behörden verteidigt und legitime Kritik zum Verstummen gebracht werden soll, liegt damit auf der Hand. Wer meint, dass die Landesregierung falsch oder richtig liegt, hat dazu bei der anstehenden Kommunalwahl in MV die Möglichkeit, hierfür ein deutliches Signal in die eine oder andere Richtung abzugeben.