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Gefährderansprache in Ribnitz-Damgarten - Bildungsministerium MV weicht zentralen Fragen aus

Der Fall der Schülerin aus Ribnitz-Damgarten, die nach dem Teilen umstrittener Inhalte in sozialen Medien einer "Gefährderansprache" durch Schulleiter und Polizei unterzogen wurde, schlägt nach Wochen weiter hohe Wellen. So wird die Betroffene vor dem Verwaltungsgericht Greifswald eine Klage gegen das Land MV erheben, um festzustellen, dass die Maßnahme rechtswidrig war. Aus Sicht von von seylaw.blogspot.com mit guten Chancen auf Erfolg, denn der Vorfall berührt grundlegende Fragen unserer freiheitlichen Demokratie: Wo verläuft die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und "gefährdenden" Äußerungen? Nach welchen Kriterien dürfen staatliche Institutionen wie Schulen und Polizei in die Grundrechte Minderjähriger eingreifen? Und wie sichert man dabei Transparenz, Verhältnismäßigkeit und den Schutz vor Willkür? Da lagen die Behörden in MV in dem Fall wohl gehörig daneben.

Eine Presseanfrage von seylaw.blogspot.com an das Bildungsministerium Mecklenburg-Vorpommern, die Licht ins Dunkel bringen sollte, wurde nunmehr ausweichend beantwortet. Statt adäquat auf die maßgeblichen Fragen einzugehen, versteckt sich das Ministerium hinter Allgemeinplätzen und Zuständigkeitsverweisen.

So bleibt völlig nebulös, welche konkreten Erwägungen den Schulleiter zu der folgenschweren Einschätzung führten, die Schülerin habe mit ihren Online-Aktivitäten eine Grenze überschritten. Gab es hier eine sorgfältige Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Gefahrenabwehr? Wir erfahren es nicht, denn laut Ministerium sei allein die Polizei für solche Bewertungen zuständig.

Ebenso dürftig fällt die Antwort auf die Frage aus, welche Rolle der Schulleiter bei der Entscheidung für die "Gefährderansprache" spielte und wie er die Persönlichkeitsrechte der Schülerin dabei in den Blick nahm. Wieder heißt es lapidar, dies sei Sache der Polizei. Eine irritierende Haltung, denn natürlich tragen auch Schulen eine pädagogische Verantwortung für den Grundrechtsschutz ihrer Schützlinge.

Besonders beunruhigend ist der Mangel an Transparenz, wenn es um vergleichbare Fälle geht. Das Ministerium hat nach eigenen Angaben keinerlei statistische Erhebungen zu polizeilichen Interventionen an Schulen. Auch zu der wichtigen Frage, ob es ähnliche Vorgänge gegen Schüler aus anderen politischen Spektren wie der linken Szene oder dem Klimaaktivismus gab, herrscht Funkstille. Wie soll da der Eindruck einer einseitigen, womöglich politisch motivierten Vorgehensweise entkräftet werden?

Auch pädagogische Erwägungen bei der Wahl des rabiatesten Mittels, der "Gefährderansprache", scheinen keine Rolle gespielt zu haben. Warum nicht zunächst das Gespräch mit den Eltern suchen oder mit weniger einschneidenden Schritten beginnen? Fehlanzeige, die Behörde verweist stur auf die alleinige Entscheidungsbefugnis der Polizei.

Geradezu fahrlässig mutet es an, dass keinerlei Überprüfung der Praxis von "Gefährderansprachen" an Schulen geplant ist. Hier geht es um schwerwiegende Eingriffe in die Grundrechte Minderjähriger, die zutiefst verstörend und stigmatisierend wirken können. Welche Kriterien stellen da Verhältnismäßigkeit und Persönlichkeitsrechte der Schüler sicher? Das zuständige Ministerium scheint sich dafür nicht zu interessieren.

Stattdessen flüchtet man sich in wolkige Bekenntnisse zum schulischen Neutralitätsgebot und zum Ideal der demokratischen Diskursfähigkeit. Doch wie diese hehren Ziele mit der Unterdrückung unliebsamer Meinungen vereinbar sein sollen, bleibt schleierhaft. Ebenso die Frage, wie die Abwägung zwischen Grundrechtsschutz und Kampf gegen "demokratiefeindliche" Tendenzen im konkreten Fall ausfiel.

Auch Nachfragen zu Vorfällen von politischer Diskriminierung oder Gesinnungsschnüffelei durch Lehrer wiegelt das Ministerium mit Nichtwissen ab. Ein fatales Signal, denn solche Vorfälle sind gift für das Vertrauensverhältnis zwischen Schülern und Lehrkräften. Gerade in Zeiten grassierender Verschwörungstheorien und Wissenschaftsfeindlichkeit ist es essenziell, dass Schulen als Orte eines herrschaftsfreien, faktenbasierten Diskurses erlebbar sind. 

Doch wie soll das gelingen, wenn schon provokante aber straflose Meinungsäußerungen aus dem privaten Bereich der Schüler drakonische Sanktionen nach sich ziehen? Wer definiert, ab wann eine Haltung "demokratiefeindlich" ist? Und wer kontrolliert die Kontrolleure? All diese Fragen lässt das Bildungsministerium unbeantwortet.

Statt Klarheit zu schaffen, entsteht so der fatale Eindruck, dass hier eine wichtige Debatte unter den Teppich gekehrt werden soll. Doch die Bürger haben ein Recht auf schonungslose Aufklärung, wenn es um mögliche Grundrechtseingriffe an Schulen geht. Mit dem Verweis auf "bewährte Handlungsabläufe" ist es da nicht getan - diese Abläufe gehören gerade auf den Prüfstand! Vor diesem gezeigten Unwillen der Behörden sich mit ihrem eigenen Handeln kritisch auseinanderzusetzen, ist es zu begrüßen, dass das Verwaltungsgericht Greifswald nun dazu angerufen wird, um in aller Deutlichkeit diesem Vorgehen des Staates Grenzen aufzuzeigen und der Betroffenen die Wiederherstellung ihrer Reputation zu verschaffen, die sie verdient hat.

Wenn Gefährderansprachen an Schulen künftig zur etablierten Praxis werden soll, dann braucht es hierfür klare und nachvollziehbare Kriterien. Denn es braucht wirksame Sicherungen, um Missbrauch und Willkür auszuschließen. Und es braucht eine unabhängige Evaluation unter Einbeziehung von Rechtsexperten, Eltern- und Schülervertretern.

Solange all das nicht gewährleistet ist, bleibt ein mehr als fader Beigeschmack. Der Verdacht steht im Raum, dass hier im Windschatten der Bekämpfung von politischem Extremismus schleichend neue Überwachungs- und Einschüchterungsinstrumente gegen Bürger in Stellung gebracht werden. Instrumente, die dazu geeignet sind eine freie und offene Meinungsbildung gerade junger Menschen im Keim zu ersticken.

Die ist eine gefährliche Entwicklung, denn die Schulen sind die Schmieden unserer Zukunft. Nur wenn dort kontroverse Debatten angstfrei geführt werden können, wachsen die selbstbewussten und mündigen Bürger heran, die wir brauchen. Wer stattdessen auf autoritäre Machtdemonstrationen setzt, sägt am Ast, auf dem unsere Freiheit sitzt.

Das Bildungsministerium und auch die Landesregierung in Schwerin ist daher dringend dazu aufgerufen, für maximale Transparenz zu sorgen und den Vorfall zum Anlass zu nehmen seine Praxis kritisch zu hinterfragen. Eine Demokratie, die ihre eigenen Werte an der Schulpforte abgibt, hat auf Dauer schlechte Überlebenschancen.
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Anhang: Fragenkatalog samt Antworten des Bildungsministeriums MV vom 9.4.2024

1. Nach welchen konkreten Kriterien wurde durch den Schulleiter entschieden, dass die von der Schülerin geteilten Inhalte "staatsschutzrelevant" sein könnten? Wie wurde dabei die Abwägung zwischen der grundgesetzlich geschützten Meinungsfreiheit und möglichen Gefährdungen vorgenommen?

Antwort: Der Schulleiter hat gemäß der Verwaltungsvorschrift für den Umgang mit Notfällen gehandelt. Die Einschätzung, ob die geteilten Inhalte de Schülerin „staatsschutzrelevant“ sind, obliegt der Polizei.

2. Welche Rolle spielte der Schulleiter bei der Entscheidung, eine polizeiliche "Gefährderansprache" durchzuführen? Wie hat er dabei die Grundrechte der Schülerin, insbesondere ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht und die Meinungsfreiheit, berücksichtigt?

Antwort: Die Entscheidung, ob eine Gefährderansprache oder ein Gespräch mit präventivem Charakter stattfindet, obliegt der Polizei.

4. Gab es in den letzten drei Jahren ähnliche Fälle, in denen Schulleiter des Landes präventiv-polizeiliche Maßnahmen gegen Schüler initiiert oder unterstützt haben oder hierzu eingeschaltet wurden, die "gefährdende" Inhalte verbreitet haben? Falls ja, bennnen sie bitte die Zahl und den jeweiligen Hintergrund, sofern bekannt. Falls ja, trifft dies auch auf Vorgänge aus anderen politischen Spektren (z.B. Linksextremismus, Klimaaktivismus) zu? Falls letzteres nicht zutrifft, wie wird diese politische Einseitigkeit im Vorgehen gerechtfertigt?

Antwort: Im Ministerium für Bildung und Kindertagesförderung erfolgt keine statistische Erhebung von Polizeieinsätzen.

5. Welche pädagogischen Erwägungen lagen der Entscheidung zugrunde, die Schülerin durch eine "Gefährderansprache" zu konfrontieren statt ein Elterngespräch zu führen oder weniger einschneidende Maßnahme zu treffen?

Antwort: Die Entscheidung, ob eine Gefährderansprache oder ein Gespräch mit präventivem Charakter stattfindet, obliegt der Polizei.

6. Wie stellt die Schule sicher, dass präventiv-polizeiliche Interventionen bei Minderjährigen deren Persönlichkeitsrechte wahren, verhältnismäßig sind und nicht stigmatisierend wirken? Welche Kriterien werden hierbei angelegt?

Antwort: Wie die Polizei in Einzelfällen agiert, entscheidet sie in eigener Zuständigkeit.

7. Plant die Schule bzw. das Bildungsministerium eine Evaluierung und gegebenenfalls Anpassung der Praxis solcher "Gefährderansprachen" in Schulen vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatte um den konkreten Fall?

Antwort: Die Entscheidung, ob eine Gefährderansprache oder ein Gespräch mit präventivem Charakter stattfindet, obliegt der Polizei. Gleiches gilt für eine etwaige Evaluierung der Praxis.

10. Welche Lehren zieht die Schule aus dem Vorfall für den künftigen Umgang mit provokanten oder irritierenden Meinungsäußerungen von Schülern in sozialen Medien und im Schulalltag? Wie kann dabei ein ausgewogener Ansatz aussehen, der sowohl dem Schutz der Schüler als auch deren Freiheitsrechten gerecht wird?

Antwort: Etablierte Handlungsabläufe im Krisenfall haben sich grundsätzlich auch in diesem Fall bewährt.

11. Wie viele Vorfälle der politischen Einschüchterung (möglichst aufgeschlüsselt nach politischer Richtung) von Lehrkräften hat es nach ihren Erkenntnissen in den letzten drei Jahren gegeben und wie sehen die Kriterien aus, um als solche gewertet zu werden?

Antwort: Hierüber hat das Ministerium für Bildung und Kindertagesförderung keine Kenntnis.

12. Sind dem Ministerium zudem Vorfälle von Lehrern bekannt, die nachweislich Schüler wegen der Äußerung ihrer politischer Ansichten diskriminiert haben oder auf sonstiger Weise nachweislich gegen die politische Neutralitätspflicht verstoßen haben? Wenn ja, wie viele Vorfälle gab es in den letzten drei Jahren, welchen politischen Hintergrund hatten diese Vorfälle und welche dienstrechtlichen oder sonstigen Konsequenzen wurden in den jeweiligen Fällen hinsichtlich der Lehrkräfte gezogen?

Antwort: Siehe Antwort auf Frage 11

Die Fragen 3, 8 und 9 wurden zusammenhängend beantwortet.

3. Inwiefern sieht die Schule bzw. das Bildungsministerium das Neutralitätsgebot im Schulgesetz Mecklenburg-Vorpommern durch das Vorgehen des Schulleiters gewahrt? Wie wird sichergestellt, dass Schüler nicht aufgrund ihrer legalen und legitimen politischen Ansichten stigmatisiert oder ausgegrenzt werden?

8. Welche Maßnahmen ergreift die Schule, um die demokratische Diskursfähigkeit der Schüler zu stärken und sie zu mündigen, toleranten Bürgern zu erziehen, ohne dabei bestimmte Meinungen zu unterdrücken oder zu sanktionieren?

9. Wie fördert das Bildungsministerium an den Schulen des Landes eine Kultur des offenen, kontroversen Austauschs, in der Schüler lernen, die Grundrechte zu schätzen und verantwortungsvoll mit ihnen umzugehen?

Antwort: Schulen sind gemäß § 2 Abs. 1 des Schulgesetzes M-V an die Werteentscheidungen des Grundgesetzes und der Landesverfassung M-V gebunden. Dies gilt entsprechend auch für das sog. Neutralitätsgebot gemäß § 4 Abs. 1 SchulG M-V. Hieraus ergibt sich auch die Pflicht, allen demokratiefeindlichen oder menschenverachtenden Bestrebungen gegenüber wachsam zu sein und diesen gegebenenfalls entgegenzuwirken. In diesem Sinne hat der Schulleiter pflichtgemäß gehandelt.  

Schülerinnen und Schüler sollen in ihrer Entwicklung zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern unterstützt werden. Sie sollen in der Lage sein, sich ein eigenes, auf die Abwägung von Argumenten stützendes Urteil über politische Fragen bilden zu können. Handlungsleitfaden für die politische Bildung im Unterricht ist der sog. „Beutelsbacher Konsens“. Danach dürfen die Schülerinnen und Schüler nicht indoktriniert und ihnen keine Meinung als Lernziel vorgegeben werden. Zudem müssen Themen, die in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden, im Unterricht auch in ihrer Kontroversität erscheinen. Diese Grundprinzipien des Unterrichtens sind elementare Bestandteile der Ausbildung und des professionellen Handelns von Lehrkräften. Auf das sogenannte Kontroversitätsgebot kann sich allerdings niemand beziehen, wenn die Wertegrundlagen des Grundgesetzes verlassen werden.

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