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Der Fall des Pastors Olaf Latzel - Unter besonderer Berücksichtigung der Grundrechte

Ende November 2020 endete mit einer Verurteilung wegen Volksverhetzung vor dem Amtsgericht Bremen (AG Bremen, Az.: 96 Ds 225 Js 26577/20) ein Aufsehen erregender Prozess um den Bremer Pastor Olaf Latzel. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Berufung bereits angekündigt. Der Fall wirft spannende Rechtsfragen über die Grenzen der Meinungs- und Religionsfreiheit auf, die ich in diesem Beitrag näher beleuchten möchte - schon, weil ich im Rahmen meines Referendariats in der Staatsschutzabteilung bei der Staatsanwaltschaft Berlin in dem Tätigkeitsfeld aktiv war. Da leider das Urteil des AG Bremen bislang nirgends in Gänze veröffentlicht wurde, stütze ich mich zum Inhalt der Äußerungen, des Verlaufs des Prozesses sowie dem Inhalt des Urteils auf Auszüge aus den jeweils verlinkten Medienerzeugnissen. Das ist methodisch alles andere als perfekt, da auch bei pflichtbewusster Berichterstattung sich aus Sekundärquellen immer gewisse Unschärfen ergeben, die potenziell die juristische Analyse erheblich beeinflussen. Doch verdichtet sich auch so ein Bild, welches eine gehaltvolle juristische Anmerkung dennoch erlaubt.

Was war geschehen? Gegenstand des Verfahrens waren Äußerungen des Pastors, die er am 19. Oktober 2019 in einem Eheseminar tätigte und jenes in Form einer Videoaufzeichnung im Frühjahr 2020 für einige Wochen auf der Video-Plattform YouTube für die Allgemeinheit abrufbar war. In dem mehrstündigen Eheseminars referierte Latzel über die bibeltheologische Auslegung der Ehe und sprach über die Gefahren für sie.

In diesem Rahmen sollen laut Reinhard Mawick von Zeitzeichen folgende Äußerungen von Latzel gefallen sein: „Der ganze Genderdreck ist ein Angriff auf Gottes Schöpfungsordnung und ist zutiefst teuflisch und satanisch. Ich komme noch später darauf, Homosexualität, dass das alles Degenerationsformen von Gesellschaft sind, die ihre Ursache darin haben in der Gottlosigkeit. Diese Homo-Lobby, dieses Teuflische kommt immer stärker, immer massiver, drängt immer mehr hinein, das ist so sukzessive, die fressen immer ein Ding, immer mehr weg. Echt: Überall laufen diese Verbrecher rum von diesem Christopher Street Day“.

Anderswo wird der letzte Satz mit folgenden Worten weiter geführt:  "... feiern Partys und am Rathaus hängt die Regenbogenfahne. Das sind bewusst anti-christliche Dinge, mit denen die Ehe torpediert wird." 

Latzel kritisierte in dem Eheseminar zudem die Evangelische Kirche, weil die Landeskirchen dazu übergegangen seien, homosexuelle Paare zu segnen und zu trauen. Biblisch sei es gar nicht möglich, Homosexualität zu segnen, so Latzel: "Das ist ein klarer Verrat am Wort Gottes". Die Bibel sage Nein zur Sünde der Homosexualität, aber eindeutig Ja zum Sünder, den Homosexuellen.

Die Staatsanwaltschaft sah laut Medienberichten in Latzel einen religiösen Fundamentalisten, der Angehörige der LSBTTIQ-Gruppe (Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Transsexuell, Transgender, Intersexuell und Queer) mit einer feindseligen Verächtlichmachung minderwertig erscheinen lassen wolle und forderte ein Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen zu 90 EUR. Das AG Bremen verblieb in seinem Urteil mit 90 Tagessätzen bei 3/4 dieser Forderung, schloss sich im Ergebnis demnach weit überwiegend jener Wertung an.

Richterin Ellen Best fand m.E. allerdings unzureichende Antworten auf die sich stellenden Rechtsfragen, zu denen es ihren Worten nach "kaum klärende obergerichtliche Rechtsprechung" gäbe:

"Dass Homosexualität eine „Degenerationsform in der Gesellschaft“ sei, gehe nach Auffassung des Gerichts „weit über eine Missachtungskundgebung hinaus“. Es sei eine Verzerrung, die emotionalisiere, ebenso wie die Bezeichnung einer „Homolobby“ als „teuflisch“. Schließlich habe Olaf Latzel die „Teilnehmer vom Christopher-Street-Day“, einem Tag, von dem man wisse, dass an ihm einmal jährlich Menschen unterschiedlicher sexueller Ausrichtung für ihre Rechte demonstrierten, sogar als „Verbrecher“ bezeichnet. Hier werde ganz deutlich: „Gegen Verbrecher darf man vorgehen“ und dies könne als „Lizenz zum Handeln“ gegen diese Menschen verstanden werden.

Und damit sei auch – so die Auffassung des Gerichts – zugleich die „Menschenwürde dieser Gruppe“ angegriffen. Damit wäre Ziffer 2 der Vorschrift von Paragraph 130 erfüllt, denn der Angriff gegen den Menschenwürde anderer setze voraus, „dass sich die feindselige Handlung nicht nur gegen die einzelnen Persönlichkeitsrechte wie die Ehre richtet, sondern den Menschen im Kern seiner Persönlichkeit trifft, indem er unter Missachtung des Gleichheitssatzes als minderwertig dargestellt wird und ihm das Lebensrecht in der Gemeinschaft bestritten wird“.

Und auch der Kontext, in dem Latzel die Äußerungen machte und auf die er und seine Verteidigung sich ausdrücklich berufen hatten, mildere dies nicht ab. Im Gegenteil, so Amtsrichterin Best, denn die Homosexualität werde von Latzel in den verschiedenen gesellschaftlichen Sphären als Bedrohung angesehen, gegen die man sich wehren müsse. So behauptet Latzel, in der Schule würden Kinder indoktriniert, auf dass sie Homosexualität als „etwas Normales“ wahrnehmen sollten, am Arbeitsplatz dürfe man – laut Latzel – einem Kollegen anlässlich seiner Eheschließung mit einem Mann kein Geschenk machen, denn man würde sich dann „mitschuldig“ machen, und dann habe der Pastor auch noch beklagt, dass am Rathaus die Regenbogenfahne gehisst werde. In Summa fasste die Vizepräsidentin des Amtsgerichts die Intention des Angeklagten so zusammen: „Menschen, die dafür stehen, sollen in dieser Gesellschaft keinen Platz haben, sie sollen keine gleichwertigen Personen in dieser Gesellschaft sein.“ (Quelle: Reinhard Mawick, Zeitzeichen)

Hätte Richterin Best sich den Strafrechtskommentar von Urs Kindhäuser zu § 130 StGB (dessen 4. Auflage von 2009 mir vorliegt) angeguckt, hätte sie zum Tatbestandsmerkmal "Zum Hass aufstacheln" in Randnummer 9 bereits folgende Ausführungen finden können: "... bedeutet, nachhaltig auf Sinn und Gefühle anderer mit dem Ziel einzuwirken, eine über die bloße Ablehnung und Verachtung hinausgehende feindselige Haltung gegen die betroffene Bevölkerungsteile zu erzeugen oder zu steigern [m.w.N.]. Auslegungskriterium dafür ist die Sicht eines objektiven Durchschnittsempfängers, der das Verhalten als objektiv geeignet und subjektiv bestimmt empfindet, auf ihn entsprechend einzuwirken [m.w.N.]." Und eine feindselige Haltung gegenüber allen Homosexuellen kann man den Aussagen Latzels nicht pauschal unterstellen, er hatte deutlich gemacht zwischen Homosexualität und dem politischen Arm - deren "Lobby" - zu unterscheiden und hat seine Worte stets im Rahmen seiner Glaubensüberzeugungen und seines Eheverständnisses eingebettet.

Bei ihrer juristischen Würdigung hat Richterin Best zudem verkannt den Gesamtzusammenhang angemessen zu würdigen. Die Einbettung im Rahmen des Eheseminars, die bibeltheologischen Ansichten über die Ehe und der Nachsatz sind meines Erachtens bei der juristischen Bewertung von erheblicher Bedeutung, da Latzel den Bezug zu dem in der Gesellschaft nach wie vor gesellschaftspolitischen umstrittenen Frage der sog. "Homo-Ehe" bzw. "Ehe für Alle" und deren politischen Vertreter stellt (ebenso kritisch hier im Blog thematisiert). Hierin liegt eindeutig ein Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung. Gleichzeitig wird eine theologische Wertung durch Latzel vorgenommen, der diese gesellschaftspolitischen Gedanken des Zeitgeistes als "anti-christlich" und "Angriff auf Gottes Schöpfungsordnung" begreift und damit auch dem Wirkbereich des vorbehaltlos geschützten Grundrechts der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1, 2 GG) unterfällt (sog. forum externum). Es kann allenfalls durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden, etwa hier der Menschenwürde.

Doch wie man unter der Randnummer 13 zum Merkmal "Angriff auf die Menschenwürde" finden kann, beschränkt sich die Tatbestandserfüllung auf solche Fälle, die über die Beeinträchtigung nur einzelner Persönlichkeitsrechte hinausgehen und den Betroffenen im Kernbereich seiner Persönlichkeit berühren. "Der Täter muss dem Angegriffenen das Lebensrecht als gleichwertiges Mitglied der staatlichen Gemeinschaft bestreiten und ihn unter Leugnung des fundamentalen Wert- und Achtungsanspruchs als unterwertiges Wesen behandeln." Zudem gebieten die Grundrechte eine restriktive Abwägung, die Würdigung von Richterin Best hält diesem Maßstab jedoch im Fall Latzel nicht stand. Latzel hält den politischen Arm der LSBTTIQ-Gruppierung mit scharfen Worten für verachtenswert, spricht ihren  Vertretern aber weder ihr Lebensrecht ab, noch begreift er sie als unterwertige Wesen. Allein mit scharfen Worten gegen jene politischen Widersacher und für die Exklusivität der Ehe zwischen Personen verschiedenen Geschlechts einzustehen, reicht für die Bejahung dieser hohen Hürde aber meines Erachtens nicht aus.   

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) lässt auch anderswo im politischen Meinungskampf eine scharfe Wortwahl bzw. Auftreten zu, ohne ein solches Verhalten mit dem Strafrecht zu sanktionieren (vgl. etwa die Entscheidung des BVerfG zum "Anachronistischen Zug" über das Wählen einer grundrechtsschonenden Interpretationsmöglichkeit und "Soldaten sind Mörder" zu einem Vorrang der Meinungsfreiheit bei einem Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung). Das BVerfG hatte etwa in der letztgenannten Entscheidung heraus gearbeitet: "Handelt es sich bei der umstrittenen Äußerung um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung, so spricht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Vermutung zugunsten der Freiheit der Rede (vgl. BVerfGE 7, 198 <208, 212>; 61, 1 <11>). Abweichungen davon bedürfen folglich einer Begründung, die der konstitutiven Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Demokratie, in der die Vermutungsregel wurzelt, Rechnung trägt."

Auch wenn hier wohl eher die Religionsfreiheit einschlägig wäre, sind die Gedanken ebenso auf jenes Grundrecht übertragbar und sehe, wie bereits dargelegt, auch keinen Menschenwürdeverstoß in den von ihm getätigten Äußerungen. Verdeutlicht wird dies noch, wenn man "Soldaten sind Mörder" mit "LSBTTIQ-Verfechter sind Verbrecher" seine Aussagen verkürzt nebeneinander stellt, die Parallelen dürften offensichtlich sein und damit müssen es auch die juristischen Wertungen sein.  

Mein Fazit: Die sozialkonservativen Ansichten von Pastor Latzel sind ohne Zweifel streitbar und passen vielen nicht in die heutige Zeit, die von ihm getätigten Äußerungen sind aus den hier herausgearbeiteten Gründen aber nicht als Volksverhetzung strafbar. Die Staatsanwaltschaft Bremen und auch das AG Bremen verkennen das Gewicht, dem der Schutz des Wirkbereichs der Religionsfreiheit zukommt - die Äußerungen standen im Zusammenhang mit den Glaubensüberzeugungen von Pastor Latzel und stehen spätestens mit der Veröffentlichung auf YouTube ähnlich eines Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung. Eingriffe in das vorbehaltlos gewährte Grundrecht können aber nur durch überwiegende Belange von kollidierendem Verfassungsrecht gerechtfertigt werden - und ein Menschenwürdeverstoß scheidet hier aus, da hierfür hohe Hürden gelten, die von Latzel nicht überschritten wurden. 

Strafrecht darf zudem nur ultima ratio sein, m.E. wird es hier aber als Schwert dafür gebraucht, um eine theologisch begründete sozialkonservative Position unter Strafe zu stellen. Das AG Bremen entfernte sich in seiner Würdigung unlauter vom Kontext des Eheseminars, hielt Anstoß an einzelnen Formulierungen ohne den Gesamtzusammenhang angemessen zu würdigen und unterstellte Pastor Latzel homophobe Äußerungen, die er gar nicht tätigte. 

Es bleibt zu hoffen, dass im weiteren Instanzenzug den Grundrechten von Pastor Latzel angemessen Rechnung getragen werden.


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