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Die andere Seite der Medaille – Warum sogenannte Intensivpetenten oft nur Ausdruck eines dysfunktionalen Systems sind

Der Begriff „Intensivpetent“ ist in den letzten Jahren vermehrt in den Fokus einer in Fachkreisen geführten Debatte gerückt. Doch hinter diesem Etikett verbergen sich nicht nur „hartnäckige Querulanten“, sondern oftmals Menschen, die sich verzweifelt gegen ein System zur Wehr setzen, das ihre Rechte missachtet. Der vor wenigen Jahren veröffentlichte Ratgeber von Prof. Dr. Constanze Janda und ihren Kollegen wirft zwar einige interessante Aspekte auf, bleibt jedoch weitgehend einseitig und reduziert komplexe Probleme auf individuelle Verhaltensmuster. Hier möchte ich eine Gegenperspektive bieten – aus Sicht derjenigen, die als „Intensivpetenten“ abgestempelt werden.

Beginnen wir mit einer unbequemen Wahrheit: Viele Behörden sind überlastet, ineffizient und schlecht organisiert. Dazu mangelt es vielen Mitarbeitern an belastbaren Rechtskenntnissen. Das ist keine Polemik, sondern eine Tatsache, die durch zahlreiche Untersuchungen belegt ist. Wenn ein Bürger einen einfachen Antrag stellt und darauf monatelang keine Antwort erhält, ist es kein Wunder, dass er nachfragt, nachbohrt und schließlich Klage erhebt. Was Frau Prof. Janda als „Belastung“ für die Verwaltung bezeichnet, ist in Wirklichkeit oft nichts weiter als die verzweifelte Suche nach Gerechtigkeit. Das Problem liegt damit im System, nicht beim Bürger. Prof. Janda spricht davon, dass Intensivpetenten einen „extremen Bearbeitungsaufwand“ verursachen und die Verwaltung „lahmlegen“. Doch was passiert, wenn Behörden wiederholt grundlegende Fehler machen? Wenn sie Anträge ignorieren, Rechtsansprüche verweigern oder Gesetze willkürlich auslegen? Dann bleibt den Bürgern oft nur eine Wahl: Sie müssen hartnäckig sein, um überhaupt gehört zu werden, um zu ihrem Recht zu kommen. Unter dem Label Amtsschimmel finden Sie hier auf Seylaw viele Beispiele für entsprechendes Behördenversagen. Hier in aller Kürze ein weiteres: Ein Doktorand beantragt eine Fristverlängerung für seine Dissertation. Der Doktorvater hat sich seit Jahren nicht auf die Bitte einer Korrektur des zum damaligen Zeitpunkt aktuellen Standes gemeldet, was eine grobe Verletzung der dem Doktorvater obliegenden Betreuungspflicht entspricht. Der Verlängerungsantrag wird zusätzlich mit einer sozialen Härte begründet. Die Universität stützt sich bei der Bearbeitung maßgeblich auf eine ergebnisorientierte Stellungnahme des Doktorvaters, welche wesentliche Fortschritte der Arbeit mit einer lapidaren Bemerkung abtut, und lehnt die begehrte Verlängerung ab. Die Ermessensentscheidung hat zudem die vom Doktorvater verursachte Verzögerung nicht berücksichtigt. Was soll der Doktorand tun? Aufgeben? Oder weiter kämpfen, indem er Widerspruch einlegt, eine Klage erhebt und sich an die Aufsichtsbehörde wendet? Letzteres wird dann als „Belastung“ für die Verwaltung bezeichnet – aber wer belastet hier eigentlich wen? Die Realität ist: Viele sogenannte Intensivpetenten sind keine Stalker oder sonst psychisch auffällig, sondern Menschen, die systematische Missstände am eigenen Leib erleben und korrigiert sehen wollen. Dass sie dabei „unangenehm“ werden, liegt weniger an ihrer Persönlichkeit als am Versagen der Behörden und das Erinnern daran, dass sie ihm eine bessere Arbeit schulden.

Besonders problematisch ist die Tendenz, Intensivpetenten zu pathologisieren. Prof. Janda distanziert sich zwar explizit vom Begriff „Querulant“, doch auch der Ausdruck „Intensivpetent“ trägt zur Stigmatisierung bei. Er impliziert, dass das Verhalten dieser Menschen abnormal oder übertrieben sei, während die eigentlichen Ursachen – nämlich strukturelle Defizite in der Verwaltung – ausgeblendet werden. Was passiert, wenn ein Bürger als „Problemfall“ etikettiert wird? Seine Anliegen werden nicht mehr ernst genommen. Stattdessen wird er als „Störenfried“ abgetan, der die Arbeitsabläufe stört. Das führt zu einem Teufelskreis: Je mehr der Bürger versucht, Gehör zu finden, desto mehr wird er marginalisiert. Er wird systematisch isoliert – während die eigentlichen Fehler unangetastet bleiben.

Transparenz als Bedrohung? Prof. Janda nennt das Informationsfreiheitsgesetz und die Online-Präsenz von Behörden als Faktoren, die „Gelegenheiten für Intensivpetenten“ schaffen. Diese Formulierung ist bemerkenswert: Sie suggeriert, dass Transparenz ein Problem sei, das es zu begrenzen gelte. Doch genau das Gegenteil ist der Fall! Transparenz ist ein fundamentales Prinzip des Rechtsstaats. Sie dient dazu, Machtmissbrauch zu verhindern und die Verantwortlichkeit von Behörden sicherzustellen. Wenn Bürger ihre Rechte nutzen, um Informationen anzufordern, handeln sie nicht „übermäßig“, sondern legitim. Dass dies für die Verwaltung unbequem sein kann, liegt in der Natur der Sache – aber das ist kein Grund, diese Rechte einzuschränken oder die Nutzer jener Möglichkeiten zu pathologisieren.

Ein weiterer kritischer Punkt ist die Fixierung auf individuelle Merkmale. Natürlich gibt es Menschen, deren Verhalten durch persönliche Krisen oder psychische Belastungen beeinflusst wird. Doch das ist nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Die meisten sogenannten Intensivpetenten handeln aus einem einfachen Grund: Sie sehen keine andere Möglichkeit, ihre Rechte durchzusetzen. Hier spielen strukturelle Faktoren eine entscheidende Rolle, etwa überlastete Behörden, da viele Ämter personell unterbesetzt sind und selbst einfache Anliegen nicht immer zeitnah bearbeiten können. Rechtliche Grauzonen, unklare Gesetze und widersprüchliche Vorschriften erschweren es Bürgern zusätzlich, ihre Ansprüche geltend zu machen. Daneben gesellt sich oft eine Verantwortungslosigkeit, die auf das Leben der betroffenen Bürger erhebliche Auswirkungen haben kann. Zudem fehlt es an einer kritischen Fehlerkultur, denn Fehler werden selten korrigiert, geschweige denn sanktioniert. Solange diese Probleme bestehen, werden immer mehr Bürger gezwungen sein, „intensiv“ zu werden – nicht weil sie es wollen, sondern weil das System unfähig ist, deren Anliegen von vornherein rechtskonform zu bearbeiten.

Anstatt Intensivpetenten als „Problem“ zu betrachten, sollten Behörden sie als Chance sehen. Denn sie decken Schwachstellen auf, die sonst unentdeckt bleiben würden. Ein konstruktiver Umgang könnte so aussehen: Zunächst ist eine offene und wahrheitsgemäße Kommunikation zu nennen, Behörden sollten transparent und ehrlich mit Bürgern kommunizieren – statt sich hinter vagen Formulierungen oder bürokratischen Barrieren zu verstecken. Daneben ist eine schnelle Konfliktlösung geboten, wenn ein Bürger wiederholt Beschwerden einreicht, sollte dies als Warnsignal verstanden werden. Statt ihn zu ignorieren, sollte die Behörde prüfen, ob systematische Fehler vorliegen. Es braucht daneben "zubeißende" unabhängige Kontrollinstanzen, die Missstände aufdecken und korrigieren – ohne Rücksicht auf interne staatliche Interessen. In der Praxis laufen leider Dienstaufsichtsbeschwerden und Widersprüche, welche die Verwaltung zur Selbstkontrolle und Korrektur veranlassen sollen, häufig ins Leere.

Die wahre Herausforderung besteht nicht darin, „Intensivpetenten“ zu kontrollieren, sondern die Ursachen ihres Verhaltens zu bekämpfen. Solange Behörden grundlegende Pflichten vernachlässigen und statt Recht Unrecht anwenden, werden immer mehr Bürger gezwungen sein, ihre Rechte offensiv einzufordern. Deshalb appelliere ich an alle Verantwortlichen: Hört auf, die Symptome zu bekämpfen, und kümmert euch um die Krankheit. Denn am Ende geht es nicht um „Intensivpetenten“ – es geht um Gerechtigkeit und einen funktionierenden Rechtsstaat. Hier sollten es sich die Behördenmitarbeiter und die Gerichte nicht allzu leicht machen, sondern die ihnen obliegenden Pflichten auch gebotenerweise wahrnehmen. Ansonsten wird der sich aufstauende Druck anderswo, auf der Straße oder im Wahlverhalten entladen.

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