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Versammlungsfreiheit gegen Versammlungsfreiheit: Das Bundesverfassungsgericht und die Grenzen der störenden Gegendemonstration

Zu dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Oktober 2025 (1 BvR 2428/20) In den Annalen des Bundesverfassungsgerichts finden sich Entscheidungen, die über den juristischen Tag hinausweisen und zu Marksteinen des demokratischen Selbstverständnisses werden. Sie loten die Grenzen der Freiheit aus, justieren die Balance der Gewalten und definieren die Spielregeln des öffentlichen Meinungskampfes. Der Beschluss des Ersten Senats zur Strafbarkeit einer „störenden Gegendemonstration“ dürfte zu einer solchen wegweisenden Entscheidungen gehören. Vordergründig befasst er sich mit der Auslegung des § 21 des Versammlungsgesetzes und dessen Vereinbarkeit mit der Versammlungsfreiheit aus Artikel 8 des Grundgesetzes. Doch im Kern verhandelt das Gericht eine der fundamentalsten Fragen des freiheitlichen Verfassungsstaates: Wie schützt die Rechtsordnung den Raum des Sagbaren, wenn Meinungen nicht nur argumentativ, sondern physisch aufeinanderprallen? Wo verläuft die feine Linie zwischen legit...

Wenn der Staat sich selbst schützt: Steinmeiers Rede zum 9. November 2025

Die selektive Wehrhaftigkeit: Wie der Staat die Demokratie aushöhlt, um sich selbst zu schützen I. Der nackte Kaiser: Eine Rede als Offenbarung Am 9. November 2025 beschwört der Bundespräsident die „wehrhafte Demokratie“. Seine Rede ist ein rhetorisches Kunststück, das die Schicksalstage der deutschen Geschichte – 1918, 1938, 1989 – zu einem eindringlichen Appell verwebt: Wehret den Anfängen, schützt die Verfassung. Doch hinter der Fassade historischer Mahnung verbirgt sich ein politisches Manifest. Hier wird nicht die Demokratie verteidigt, sondern ein Machtnarrativ zementiert. Hier wird der Rechtsstaat nicht geschützt, sondern als Waffe gegen politische Konkurrenz instrumentalisiert. Die Rede ist ein Lehrstück jener Doppelmoral, die das Vertrauen in staatliche Institutionen nachhaltiger zerstört als jede Opposition. Sie markiert Millionen Bürger als Verfassungsfeinde, während sie die eigenen Skandale, die eigenen Grundrechtsverletzungen und das eigene systemische Versagen mit keinem ...

Das Leipziger Trugbild: Wie das Bundesverwaltungsgericht den Rundfunkbeitrag immunisiert

Ein Kommentar von Ass. iur. Marcus Seyfarth, LL.M. Wer die heutige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Rundfunkbeitrag ( BVerwG, Urteil vom 15. Oktober 2025 - 6 C 5.24 ) mit dem gebotenen juristischen Scharfsinn analysiert, wird Zeuge eines Lehrstücks über die Diskrepanz zwischen formellem Recht und materieller Gerechtigkeit. Auf den ersten Blick scheint das Urteil einen lange überfälligen Sieg für den mündigen Bürger darzustellen, einen Paukenschlag gegen die administrative Bequemlichkeit, mit der die Beitragspflicht bisher durchgesetzt wurde. Das Gericht bestätigt in aller Deutlichkeit, was das Bundesverfassungsgericht bereits vorgezeichnet hat: Die Legitimität des Beitrags speist sich nicht aus der bloßen technischen Möglichkeit des Empfangs, sondern aus dem qualitativen Wert der angebotenen Gegenleistung – einem Programm, das den verfassungsrechtlich verankerten Geboten von Vielfalt und Ausgewogenheit genügt. Doch dieser scheinbare Triumph des Rechtsstaats entpuppt sich ...

The Shepherd and the Flux Capacitor: Architecting a Post-AI Future for Open Source

Part 1: An Unrecognized Antibody: The Open Source Immune System and the AI Contributor The future of open source arrived not with a grand announcement or a revolutionary piece of code, but as an anomaly in a GitLab thread which I talked about in detail  in a previous episode  —an unwelcome and misunderstood foreign body that triggered a fierce and immediate cultural immune response that went viral. I know, because I was the anomaly. My attempt to contribute AI-generated performance improvements to the Mesa project, and the subsequent firestorm it ignited, has become a case study. Now, as the esteemed LLVM project grapples with formalizing its own policy , we are seeing the second, more deliberate act of this same drama. It is a debate that has been framed as a defense against low-quality "AI slop," but this is a dangerously misleading simplification. This is not a problem of bad actors or bad tools; it is a crisis of imagination. We are witnessing the reaction of a legacy sys...

Open Source Contributions in the Age of AI - A personal story that ended with Trial by Fire in the Digital Town Square

To find yourself at the epicenter of a viral internet debate is a disorienting experience. In the span of a few days, I went from being a passionate observer and bug reporter of the open-source world to the unwitting catalyst for a firestorm that raged across developer forums, social media, and project mailing lists. My name, or at least my handle, ms178, became synonymous with a complex and contentious question facing the entire software development community. The debate that erupted within the Mesa project was about more than just a few lines of AI-generated code; it became a crucible for testing the very social contract of open source, a proxy war over the role of artificial intelligence, and a stark illustration of the immense, often invisible, pressures placed upon the project maintainers who form the backbone of our digital infrastructure. As the author of the " Request for Comments " (RFC) that ignited this conflagration, I feel a responsibility not to simply defend my...

Zur OB-Wahl in Ludwigshafen - Karlsruhes kalte Schulter: Wenn das höchste Gericht den Rechtsschutz verweigert

Ein Kommentar zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts Die Hoffnung, der Kompass des Rechts möge in den höheren Instanzen neu justiert werden, ist einer bitteren Ernüchterung gewichen. Nachdem das Verwaltungsgericht Neustadt den effektiven Rechtsschutz im Fall des von der OB-Wahl ausgeschlossenen AfD-Bewerbers Joachim Paul mit einem dogmatisch wie rechtsstaatlich fragwürdigen Beschluss verweigerte, richteten sich die Blicke nach Karlsruhe. Doch anstatt die Brandmauer des Rechts zu festigen, die den demokratischen Wettbewerb vor administrativer Vorauswahl schützt, hat das Bundesverfassungsgericht die Tür mit einer prozessualen Geste zugeschlagen. Der  Beschluss vom 16. September 2025 (Az. 2 BvR 1399/25)  ist kein inhaltliches Urteil, sondern eine Nichtannahme. Er ist die ultimative Bestätigung dessen, was der erstinstanzliche Beschluss bereits andeutete: Der Schutz politischer Teilhaberechte droht im Labyrinth prozessualer Hürden zu verenden. I. Der prozessuale K.o.-Schlag: ...

Die DSGVO und die Justiz in MV - Systematische Rechtsverweigerung am OVG Mecklenburg-Vorpommern hält an

I. Prolog: Ein Déjà-vu der Willkür Es gibt Momente im Leben eines Juristen, in denen die Fassade des geordneten Rechtsstaats Risse bekommt und den Blick freigibt auf eine dahinterliegende Realität, die von institutioneller Arroganz und einer erschreckenden Resistenz gegenüber dem Gesetz geprägt ist. Mein erster Bericht über den Kampf um einen simplen datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch schloss mit der Hoffnung, das Bundesverfassungsgericht möge die Willkür des 1. Senats des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern korrigieren. Da das Bundesverfassungsgericht durch einen unbegründeten Nichtannahmebeschluss sich weigerte, sich der Sache anzunehmen, wurde aber auch daraus nichts (BVerfG, Az. 1 BvR 1175/25). Kein Wunder! Das Bundesverfassungsgericht ist in eigener Sache ebenso betroffen und weigert sich Auskunftsansprüche nach Art. 15 DSGVO gesetzeskonform zu beantworten (was derzeit vor dem VGH Mannheim, Az. 10 S 876/25, verhandelt wird). Da deckt man also die eigene Justizver...