Jetzt liegt der konkrete Verbotsantrag dem Bundestag vor! In einem vorherigen Beitrag wurden bereits einige grundsätzliche Aspekte im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die gegen ein AfD-Verbotsverfahren sprechen, erläutert. In diesem Teil wird der nunmehr im Bundestag eingebrachte Antrag zur Einleitung eines AfD-Verbotsverfahrens näher analysiert.
Der Antrag zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der AfD, eingebracht von 113 Abgeordneten verschiedener Parteien, ist ein politisch umstrittenes Dokument, das vorgeblich eine Vielzahl an Vorwürfen und Belegen gegen die Partei vorbringt. Dieser wirft jedoch aus rechtsstaatlicher Sicht schwerwiegende Fragen auf, die einer näheren Betrachtung bedürfen.
1. Die Gefahr einer politisch motivierten Instrumentalisierung des Verbotsrechts
Ein Parteienverbot ist das schärfste Schwert der Demokratieabwehr. Art. 21 Abs. 2 GG sieht eine klare Trennung zwischen politischen und juristischen Entscheidungen vor. Der Antrag beschreibt detailliert verfassungsfeindliche Ziele der AfD, stützt sich jedoch in erheblichem Maße auf politische Bewertungen, etwa die angebliche „Verachtung staatlicher Institutionen“ oder die Diffamierung von Medien als „Lügenpresse“. Diese Punkte, so problematisch sie sein mögen, fallen eher in den Bereich der politischen Auseinandersetzung als in die juristische Bewertung von Verfassungswidrigkeit.
Der Antrag läuft Gefahr, das Verbot einer Partei als Ersatz für die politische Debatte zu nutzen. Diese Herangehensweise steht im Widerspruch zur liberalen Grundüberzeugung, dass Meinungen – selbst radikale – durch Diskussion und Überzeugung bekämpft werden sollten, nicht durch Verbote.
2. Der Begriff der „konkreten Gefahr“: Unklarheiten und Überdehnungen
Das NPD-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13) hat die Hürden für ein Parteienverbot erheblich erhöht, indem es eine „konkrete Gefahr“ für die freiheitlich-demokratische Grundordnung verlangt. Der Antrag versucht, diese Gefahr anhand der wachsenden Wahlerfolge der AfD zu belegen, etwa der Sperrminorität in Thüringen. Dabei wird jedoch nicht ausreichend dargelegt, wie genau diese politischen Erfolge die demokratische Grundordnung konkret gefährden sollen.
Die pauschale Behauptung, dass die AfD ihre Macht einsetzen würde, „um rechtsstaatliche Strukturen zu schwächen“, bleibt ohne präzise Belege. Insbesondere der Bezug auf die sogenannte "Correctiv-Recherche" "Geheimplan gegen Deutschland", der im Januar 2024 publiziert wurde, ist nunmehr bestätigt durch mehrere gerichtliche Entscheidungen des LG und OLG Hamburg (Beschl. v. 23.7.2024 - 7 W 78/24) höchst problematisch, so heißt es in dem Verbotsantrag:
"Im Lichte einer Reihe von investigativen journalistischen Recherchen und staatlichen Ermittlungen zeigt sich zunehmend das planvolle und entschlossene Vorgehen der AfD gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Bei einer Konferenz in Potsdam Ende 2023 wurden unter Beteiligung zahlreicher AfD-Funktionäre, z.T. aus dem engsten persönlichen Umfeld der Führung der Bundestagsfraktion, Pläne zur millionenfachen „Remigration“ auch von deutschen Staatsbürgern entwickelt, die weit über jeglichen rechtsstaatlichen Rückführungswillen Ausreisepflichtiger hinausgehen."
Der Durchschnittsrezipient muss diesen Äußerungen die Tatsache entnehmen, dass die Deportation auch von Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit Teil des vorgestellten "Masterplans" gewesen sei. Dies ist unwahr. Correctiv und die über den Bericht berichtenden Medien haben nicht glaubhaft gemacht, dass auf dem Treffen in Potsdam tatsächlich ein solcher "Masterplan" präsentiert worden ist. In einem Gerichtsverfahren ebenfalls vor dem LG Hamburg (Az. 324 O 61/24) hatte Correctiv selbst erklärt, dass es "zutreffend" ist, dass "die Teilnehmer*innen nicht über eine rechts-, insbesondere grundgesetzwidrige Verbringung oder Deportation deutscher Staatsbürger gesprochen haben."
Allerdings legte die Berichterstattung von Correctiv genau das nahe. So heißt es dort am Ende resümierend, es sei in Potsdam um einen "Masterplan zur Ausweisung deutscher Staatsbürger" gegangen. An anderer Stelle im Correctiv-Bericht ist von der "Sache mit der Ausbürgerungsidee von Staatsbürgern in Sellners Vortrag" die Rede.
Neben dem ZDF entnahmen viele andere Medien und deren Leser dem Correctiv-Bericht, es sei dort um geplante Massendeportation auch von Deutschen gegangen. So schrieb etwa auch der NDR (tagesschau.de), dass in Potsdam über die Ausweisung deutscher Staatsbürger diskutiert wurde und musste für diese interpretierende Einordnung eine gerichtliche Niederlage vor dem Oberlandesgericht Hamburg einstecken. Damit ist diese "investigative journalistische Recherche" jedenfalls als Beleg für das behauptete "entschlossene Vorgehen der AfD gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung" untauglich.
Demokratische Institutionen sind im Übrigen darauf ausgelegt, auch mit extremen Positionen umzugehen. Hier bleibt der Antrag auf alarmistische Andeutungen beschränkt.
3. Der Einsatz von V-Leuten und die Frage der Staatsfreiheit
Ein weiterer kritischer Punkt ist die Rolle des Verfassungsschutzes. Der Antrag hebt die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz hervor, erwähnt jedoch nicht die potenziellen Probleme, die sich durch den Einsatz von V-Leuten ergeben könnten. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt betont, dass Parteienfreiheit und Staatsfreiheit essenziell sind. Sollte die Partei durch staatliche Einflussnahme unterminiert worden sein, könnte dies das Verfahren erheblich erschweren oder gar unmöglich machen.
4. Die Gefahr der Märtyrerrolle
Der Antrag verkennt, dass ein gescheiterter Verbotsantrag der AfD erheblichen politischen Rückenwind verleihen könnte. Die AfD würde sich in ihrer Rolle als „Systemopfer“ bestätigt fühlen, was zu einer weiteren Radikalisierung und Mobilisierung ihrer Anhänger führen könnte. Selbst ein erfolgreiches Verbot birgt die Gefahr, dass sich extremistische Strömungen außerhalb des parlamentarischen Rahmens reorganisieren – eine Entwicklung, die die Kontrolle über radikale Bewegungen erschwert.
5. Zweifel an der Beweislage
Obwohl der Antrag zahlreiche Vorwürfe gegen die AfD erhebt, bleibt unklar, inwiefern diese tatsächlich eine aktiv kämpferische Haltung der Gesamtpartei belegen. Einzelne extremistische Äußerungen von Funktionären oder Mitgliedern werden zwar aufgeführt, aber die Zurechnung solcher Aussagen zur gesamten Partei erscheint oft konstruiert. Das NPD-Urteil hat klar gestellt, dass die Ziele der Gesamtpartei entscheidend sind, nicht das Verhalten einzelner Mitglieder.
Fazit: Ein fragwürdiges Verfahren
Der vorliegende Antrag wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet. Zwar sind die von einigen Mitgliedern und Funktionären der AfD vertretenen Positionen und Tendenzen in Teilen durchaus problematisch, doch die juristischen Hürden für ein Parteienverbot sind zu Recht hoch angesetzt. Der Antrag hinterlässt den Eindruck, dass politische Beweggründe stärker wiegen als rechtsstaatliche Überlegungen. Ein solcher Ansatz könnte nicht nur das Vertrauen in die Demokratie schwächen, sondern auch der AfD langfristig mehr nützen als schaden. Die etablierten politischen Eliten im Land sollten daher auf die Kraft der Debatte setzen und eine überzeugendere politische Programmatik entwickeln und damit die demokratische Auseinandersetzung suchen, anstatt den Rechtsstaat zu überdehnen.