Manchmal genügen ein paar Worte, um ein tieferliegendes Problem zu entlarven. Ein Zitat von Doris König, Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts, vermittelt genau diese Einsicht: „Viele Menschen scheinen von der Komplexität der Problemlagen überfordert zu sein, auch von der Rechtslage.“ Ein Satz, der offenlegt, wie weit einige der höchsten Richterinnen und Richter unseres Landes vom Volk entfernt sind – und vor allem, was sie vom mündigen Bürger halten.
Doris König ist keine gewöhnliche Stimme im Chor der Hochnäsigen; sie ist die Spitze des Zweiten Senats des höchsten deutschen Gerichts. Eine Institution, die geschaffen wurde, um den Bürger vor staatlicher Übermacht zu schützen. Doch König scheint einen anderen Kurs eingeschlagen zu haben – einen, der den Schutz der Grundrechte nicht mehr im Mittelpunkt sieht, sondern im Zweifel auf die Macht der Regierung vertraut. In einem Interview mit der „Rheinischen Post“ äußert sie: „Denken Sie an die Corona-Rechtsprechung, die ich absolut für richtig gehalten habe.“ Anstelle des Grundrechtsschutzes in einer „Zeit großer Unsicherheit“ räumt König der Regierung einen „großen Gestaltungsspielraum“ ein.
Königs Worte stehen beispielhaft für eine veränderte Einstellung des Verfassungsgerichts, das sich zunehmend weniger als Schutzschild der bürgerlichen Freiheiten versteht, sondern vielmehr als Erfüllungsgehilfe eines Staates, der Grundrechte nach Belieben einschränken darf. Die zentrale Aufgabe des Verfassungsgerichts sollte es sein, die Grundrechte der Bürger unantastbar zu wahren – gerade dann, wenn „niemand wusste, was richtig und was falsch war“. Doch anstelle eines Schutzes der Freiheiten setzte das Gericht auf maximale Einschränkungen – eine bewusste Entscheidung.
Doch statt Selbstkritik zu üben, zeigt König in ihrem Interview eine erstaunliche Respektlosigkeit gegenüber den Sorgen der Bürger. Sie äußert sich nicht nur verständnisvoll für die Entscheidungen von Politik und Justiz in punkto Corona, sie bemüht sich in dem Interview auch, den Zustand unseres Landes schönzureden. „Die gefühlte Lage ist wesentlich schlechter als die wahre Lage“, stellt sie fest. „Mit das größte Aufregerthema ist die Migration“, das dafür sorge, „dass die Wahlergebnisse so sind wie sie sind.“ Doch demokratiegefährdend sei das nicht. Und: „Diese Aufgeregtheiten werden sich auch wieder legen.“ Jurist Dr. Hans-Georg Maaßen, Bundesvorsitzender der WerteUnion, ist von diesen Äußerungen befremdet: „Ich finde, es ist nicht Aufgabe von Bundesrichtern, sich über Politik zu äußern. Als höchstes Organ der Judikative ist auch höchste Zurückhaltung zu politischen Themen geboten. Nicht umsonst äußert sich das Bundesverfassungsgericht regelmäßig nur einmal jährlich, wenn es bekannt gibt, in welchen Verfahren es im jeweiligen Jahr zu Entscheidungen kommen will.“ Auch zur Parteienlandschaft äußert sich König. Es sei „widersinnig sich über eine ‚Corona-Diktatur‘ zu beschweren und gleichzeitig autoritäre Parteien zu wählen.“ Diese seien nicht dafür bekannt, dass ihnen Freiheitsrechte aller Menschen „am Herzen liegen“. Hans-Georg Maaßen „Nach meiner Auffassung steht der Bundesrichterin auch eine solche Äußerung nicht zu, mit der sie politische Parteien inhaltlich bewertet. Ich halte die Äußerungen insgesamt für sehr bedenklich und frage mich, was ihre Beweggründe dafür sind.“ Auch weitere politische Äußerungen Königs werfen Fragen auf. So relativiert sie Sorgen um die Meinungsfreiheit – „dieses Gerede, man könne gar nichts mehr sagen“ – als „subjektive Wahrnehmung.“
König, die von der SPD als Verfassungsrichterin vorgeschlagen wurde, ist nicht allein verantwortlich für diese bedenkliche Entwicklung; sie ist Teil eines Systems, in dem die höchsten Richter des Landes ihre Ämter durch parteipolitische Absprachen erhalten. Wer also wundert sich, dass ein Harbarth, ein ehemaliger CDU-Fraktionsvize, oder eine Ott, die aus dem hessischen Finanzministerium kommt, nicht als unabhängig wahrgenommen werden? Das Auswahlverfahren für Richter am Bundesverfassungsgericht ist ein Beispiel für die Verschmelzung von Justiz und Politik, die unserem Rechtsstaat seine Glaubwürdigkeit raubt.
Dass König dieser politischen Verflechtung – von der sie letztlich profitiert – einen „unabhängigen“ Charakter attestiert, ist erschütternd. Die Richterwahl funktioniert de facto als Abmachung zwischen den Parteien: SPD, CDU, Grüne und weitere etablierte Kräfte stellen sicher, dass das Gericht politisch kontrollierbar bleibt. Die Vorschläge für Richter werden nicht nur nach juristischen Qualifikationen, sondern nach politischer Gesinnung gemacht – das Prinzip der Gewaltenteilung wird hier auf den Kopf gestellt.
Und wo ist die Rechenschaft? Treffen zwischen höchsten Richtern und Ministern – über 40 in den letzten Jahren – bleiben undokumentiert und somit für den Bürger unsichtbar. Solche Verbindungen tragen kaum zu einer unabhängigen Justiz bei; sie fördern vielmehr eine Grauzone, in der politische und juristische Interessen miteinander verschmelzen.
Unser freiheitlicher Rechtsstaat, der ursprünglich die Freiheit des Einzelnen verteidigen sollte, scheint sich zunehmend in eine Absegnungsstelle für die Regierungswünsche zu verwandeln. Das Vertrauen in die Justiz schwindet, wenn diese nicht mehr als neutraler Wächter, sondern als verlängerter Arm der etablierten Machtstrukturen wahrgenommen wird.
Es ist höchste Zeit, dieses Kartell der Abhängigkeiten und Verflechtungen zu durchbrechen. Unsere Verfassungsrichter sollten als Hüter der Verfassung auftreten, nicht als ihre Feinde. Würde es das Bundesverfassungsgericht tatsächlich ernst meinen mit der Unabhängigkeit, wäre ein transparenter Auswahlprozess und ein klarer Schnitt zwischen Justiz und Politik ein längst überfälliger Schritt. Doch von Personen wie König oder Harbarth ist dies wohl kaum zu erwarten – zu sehr haben sie sich dem System angepasst, das ihnen erst ihre Macht verliehen hat.
Die größte Gefahr für unsere bürgerlichen Freiheiten geht daher nicht mehr nur von einzelnen politischen Akteuren aus – sie liegt im System, das die Macht zwischen Politik und Justiz unheilvoll vermischt. Wenn die höchsten Richter des Landes nicht mehr den Bürger, sondern die politische Elite schützen, stehen wir vor einem Abgrund.
Quelle: Tichys Einblick, Pressemitteilung der WerteUnion v. 5.11.2024