Der 23. Mai ist der Tag des Grundgesetzes. Anlässlich des 75. Jahrestages ist es mehr als zuvor an der Zeit kritisch zu hinterfragen, wie es um die Verfassungswirklichkeit in unserem Land bestellt ist. Denn so wichtig das Bekenntnis zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist: Es darf nicht bei Sonntagsreden bleiben. Wir müssen auch im Alltag dafür sorgen, dass die Werte und Prinzipien unserer Verfassung mit Leben gefüllt werden. Es gibt leider Anlass zur Sorge, dass manche Entwicklungen der letzten zehn Jahre den Geist und die Substanz unseres Grundgesetzes zu untergraben drohen. Wenn wir wegschauen und zur Tagesordnung übergehen, setzen wir das aufs Spiel, was viele mutige Menschen vor 75 Jahren unter großen Opfern erkämpft haben: einen Rechtsstaat, in dem die Würde des Menschen unantastbar ist, in dem die Staatsgewalt vom Volk ausgeht und in dem sich niemand über Recht und Gesetz stellen darf.
Lassen Sie mich konkret werden: Da sind zum einen die Ermittlungen und Vorwürfe wegen Korruption und Vetternwirtschaft gegen Politiker bis in höchste Ämter, zuletzt etwa im Zusammenhang mit der Auftragsvergabe während der Corona-Pandemie. Hier wird nunmehr sogar gegen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ermittelt, die nicht nur wegen dubioser Beraterverträge während ihrer Zeit als Verteidigungsministerin in der Kritik stand. Da ist die "Aserbaidschan-Affäre", in der mehrere Abgeordnete - darunter die verstorbene CDU-Abgeordnete aus meinem Wahlkreis, Karin Strenz, Geld aus dem autokratisch regierten Land angenommen haben sollen. Und da ist die Maskenaffäre, bei der sich Politiker persönlich an Beschaffungsaufträgen bereichert haben sollen. Das sind keine Lappalien, sondern handfeste Skandale, die nicht immer mit dem nötigen Nachdruck aufgeklärt werden.
Daneben sind die schleppenden Bemühungen bei der Finanzkriminalität zu nennen, die jüngst die leitende Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker, welche den CumEx-Skandal bearbeitete, zu einem Berufswechsel zu einer NGO unter Aufgabe ihrer Pensionsansprüche bewegte. Kanzler Scholz (SPD) ist selbst in den CumEx-Skandal verwickelt, dessen Aufklärung immer wieder behindert wird. Der Eindruck, dass manche Politiker und Staatsbedienstete ihre Macht für persönliche Bereicherung missbrauchen, ist Gift für das Vertrauen in unsere Demokratie. Natürlich gilt die Unschuldsvermutung und nicht jeder Verdacht erhärtet sich. Aber die bekannt gewordenen Fälle sind keine harmlosen Einzelfälle, sondern werfen ein Schlaglicht auf gefährliche Schwachstellen in unserem System. So setzt der Tatbestand der Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern (§ 108e StGB) voraus, "dass einem Abgeordneten ein Vorteil als Gegenleistung für eine Handlung bei der Wahrnehmung seines Mandats zugewendet beziehungsweise versprochen wird. Nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers macht sich dagegen ein Mandatsträger durch die Annahme von unberechtigten Vermögensvorteilen nicht strafbar, wenn er – wie vorliegend geschehen – lediglich die Autorität seines Mandats oder seine Kontakte nutzt, um Entscheidungen von außerparlamentarischen Stellen, zum Beispiel Behörden und Ministerien, zu beeinflussen." Die Richter am OLG München machten laut SPIEGEL-Berichterstattung keinen Hehl daraus, dass sie offenbar selbst mit der Gesetzeslage unzufrieden sind: Dass sogar "die missbräuchliche Kommerzialisierung des Mandats unter Ausnutzung einer nationalen Notlage von beispielloser Tragweite nach aktueller Rechtslage straflos bleibe, erscheine kaum vertretbar und stehe in eklatantem Widerspruch zum allgemeinen Rechtsempfinden."
Natürlich hat der Bundestag als Reaktion auf ähnliche Verfehlungen Regelungen verschärft, etwa was Nebeneinkünfte und Lobbykontakte angeht. Auch die Parteien haben Verhaltenskodizes erlassen und schwarze Schafe ausgeschlossen. Aber reicht das aus? Offenbar nicht, wenn man sieht, dass auch danach immer wieder Fälle von Filz und Vorteilsnahme ans Licht kommen. Was es braucht, sind strengere Kontrollmechanismen und eine neue Kultur der Integrität. Abgeordnete und Amtsträger müssen jeden Anschein von Käuflichkeit vermeiden. Sie müssen Interessenkonflikte offenlegen und sich aus Geschäften heraushalten, bei denen auch nur der Eindruck entstehen könnte, dass sie ihre Position für private Zwecke ausnutzen. Und wir brauchen mehr Transparenz hinsichtlich aller Kontakte zwischen Politikern und Interessenvertretern.
Aber auch die Bürger sind gefragt: Wir dürfen Mauscheleien und Machtmissbrauch nicht achselzuckend hinnehmen, sondern müssen sie konsequent anprangern und aufklären. Eine lebendige Zivilgesellschaft und kritische Medien sind unverzichtbar, um die Mächtigen zu kontrollieren. Nur wenn wir alle wachsam bleiben und auch den Mund aufmachen, können wir verhindern, dass sich eine Kaste von Politikern über Recht und Gesetz stellt und diesen Staat und seine Rechtsordnung von innen aushöhlt.
Selbst dem Bundesverfassungsgericht ist ein Versagen beim Schutz wichtiger Bürgerrechte zu attestieren. Mit großem Bedauern ist das Gericht bei der größten Prüfung bei der Verteidigung des Grundgesetzes, der Corona-Pandemie, durchgefallen. Das Urteil zur sogenannten "Bundesnotbremse" wurde allgemein von Experten abgelehnt. Mit diesem Gesetz hatte die Große Koalition der Bundesregierung weitreichende Befugnisse gegeben, um im Kampf gegen die Pandemie Grundrechte einzuschränken, vom Versammlungsverbot bis zur Ausgangssperre. Viele Bürger und Verfassungsrechtsexperten hielten das für unverhältnismäßig, doch erhielten sie aus Karlsruhe eine derbe Enttäuschung. Denn Karlsruhe winkte in allen wesentlichen Punkten die Maßnahmen durch. In einer historischen Krise stellten die Verfassungsrichter der Regierung einen Quasi-Blankoscheck aus, nach Gusto in Bürgerrechte einzugreifen. Gewiss, auch das Gericht betonte, dass die Maßnahmen befristet und durch die außergewöhnliche Notsituation gerechtfertigt seien. Aber es ließ der Politik einen riesigen Ermessensspielraum und verzichtete weitgehend darauf, die Verhältnismäßigkeit im Einzelnen zu prüfen. Damit hat sich das höchste Gericht als Hüter der Verfassung selbst geschwächt. Es ist seiner Aufgabe nicht gerecht geworden, die Staatsgewalt zu kontrollieren und die Grundrechte zu schützen. Stattdessen hat es einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen, auf den sich künftige Regierungen berufen können, wenn sie im Namen des Krisenmanagements rechtsstaatliche Prinzipien aufweichen wollen. Sicher, in einer Notlage wie einer Pandemie muss die Politik schnell und entschlossen handeln können - hierfür habe ich im Blog selbst ausdrücklich Partei ergriffen. Aber gerade dann ist es wichtig, dass die Gewaltenteilung intakt bleibt und unabhängige Gerichte exzessive Handlungen der Exekutive eindämmen. Wenn selbst Karlsruhe hier einknickt, wer soll die Bürger dann noch vor obrigkeitsstaatlicher Willkür schützen? Wir brauchen dringend eine gesellschaftliche Debatte darüber, wie wir in Krisen die richtige Balance finden zwischen effektivem Handeln und dem Schutz unserer Freiheiten. Das Verfassungsgericht muss sich fragen, ob es seinem Auftrag gerecht wird, wenn es der Regierung eine so lange Leine lässt. Und auch die Politik ist in der Pflicht, Grundrechtseingriffe immer kritisch zu hinterfragen und das Parlament nicht zu umgehen. Sonst droht auf Dauer eine schleichende Aushöhlung unserer Verfassungsordnung.
Damit komme ich zu einem dritten Problemfeld: der unzureichenden sozialen Absicherung angesichts der aktuellen Krisen und dass es in bestimmten Kreisen schick geworden ist, nach unten zu treten. Explodierende Energiepreise und eine über die letzten Jahre galoppierende Inflation treiben noch immer viele Menschen an den Rand ihrer Existenz. Gerade Geringverdiener, Rentner und Alleinerziehende wissen oft nicht mehr, wie sie über die Runden kommen sollen. Und auch der Mittelstand und Selbstständige ächzen unter den enormen Mehrbelastungen.
Die Bundesregierung hat zwar Entlastungspakete geschnürt, mit Einmalzahlungen, Steuererleichterungen und einem Energiegeld. Aber diese Maßnahmen sind bei weitem nicht ausreichend gewesen oder bei all denen angekommen, die sie gebraucht hätten, um die sozialen Härten abzufedern. Stattdessen wurden Einmalzahlungen nach Gutdünken beschlossen. Jene Vorgehensweise missachtete sehenden Auges die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Hartz-IV-Urteil, das einen zeitnahen und nach wissenschaftlichen Kriterien festgestellten adäquaten Ausgleich von der Politk verlangt hat. Bekommen hat es die Ignoranz der aufgestellten Maßstäbe durch den Gesetzgeber und weiter Teile der Sozialgerichtsbarkeit. Das hat die Autorität des Bundesverfassungsgerichts aber auch der Sozialgerichtsbarkeit stark beschädigt. Dann ist es auch kein Wunder, dass viele Menschen sich in der gegenwärtigen Krise allein gelassen fühlen und das Vertrauen verloren haben, dass der Gesetzgeber oder die Gerichte noch für Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich sorgen. Das ist gefährlicher gesellschaftspolitischer Sprengstoff! Angefeuert wird das bereits vergiftete gesellschaftliche Klima durch die Polemisierungen von CDU, FDP und von Vertretern der Wirtschaft, die in diesen Tagen verbal mit politischen Forderungen, wie z.B. die Aufgabe des 8-Stunden-Tages, eine längere Wochenarbeitszeit oder die Zurverfügungstellung als möglichst billige Arbeitskraft, allen voran den Interessen der Arbeitgeber dienen. Ein durchsichtiges Eigeninteresse an niedrigeren Sozialausgaben haben ebenso die Kommunen, die einen Teil der Sozialausgaben zu schultern haben. Doch wer denkt hier noch an die Betroffenen oder Arbeitnehmer? Die sich eigentlich stellende Frage lautet: Wie bewertet man politisch den Preis für ein staatlich gesichertes Existenzminimum? Möglicherweise geht der Nutzen des sozialen Friedens weit über das hinaus, was zu deren Sicherung gerade finanziell aufgewendet wird? Das sollten Politiker aller Coleur nicht vergessen, wenn sie auf die Zahlenkolonnen in ihren Drucksachen schauen. Alles andere ist kurzsichtig und lebensfremd. Auch sind absehbare gesellschaftliche Tendenzen im Blick zu behalten, etwa die anstehenden Belastungen für den Arbeitsmarkt durch den Wegfall vieler Tätigkeiten in Folge der verstärkten Nutzung von Künstlicher Intelligenz. Wenn weite Teile der Bevölkerung nicht mehr dem Arbeitsmarkt von Nutzen sind, weil Künstliche Intelligenz deren Aufgaben viel effizienter und günstiger erledigen, droht die Verarmung weiter gesellschaftlicher Kreise. Das ist kein Schreckensszenario, sondern ist in wenigen Jahren zu erwarten. Hierfür müssen bereits heute Gedanken angestellt werden, ein Beispiel hierfür wäre ein Bedingungsloses Grundeinkommen, aber ein weiteres Nachdenken und neue Konzepte werden mit Sicherheit bald nötig.
Natürlich sind die Ursachen für Inflation und Energiekrise vielfältig und nicht allein der Regierung anzulasten. Putins verbrecherischer Angriffskrieg gegen die Ukraine, unterbrochene Lieferketten, Spekulationen an den Märkten - all das treibt die Preise. Und der finanzielle Spielraum des Staates ist begrenzt, wenn er nicht unverantwortlich neue Schulden anhäufen will. Trotzdem darf sich die Politik nicht aus der Verantwortung stehlen. Es ist ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit, die Menschen zu schützen und niemanden zurückzulassen. Dafür muss sie alle Hebel in Bewegung setzen, kreativ und entschlossen und bei Einschnitten mit bestem Beispiel voran gehen.
Es gibt im Haushalt genug kritikwürdige Posten, an denen man Kürzungen vornehmen könnte. Als Bürger darf man jedenfalls erwarten, dass Verzichtbares vor Unverzichtbarem gekürzt wird. Und ausgerechnet wenn es um ihre eigenen Einkünfte geht, zeigen Politiker und Staatsbedienstete dem Bürger einmal wieder die lange Nase. Statt mit Verzicht selbst ein gutes Beispiel zu geben, gönnte man sich eine kräftige Lohnerhöhung auf Kosten der Allgemeinheit: Die Löhne im Öffentlichen Dienst stiegen 2024 erheblich, daneben gab es eine steuer- und abgabenfreie "Inflationsausgleichsprämie" von 3.000 EUR je Tarifbeschäftigten.
Beziehern von Bürgergeld, denen von 2021 bis 2023 kein adäquater Inflationsausgleich gezahlt wurde, dürften besonders sauer sein. Sie wurden mit Einmalzahlungen von 150 EUR (2021) bzw. 200 EUR (2022) abgespeist - das ist dann der Höhe nach zu 3.000 EUR ein erheblicher Unterschied. Daneben durften Bezieher des Bürgergelds sich für die Erhöhungen zum Start des Jahres 2024 einen Shitstorm anhören, welche gerade einmal 61 EUR mehr pro Monat bedeuteten und der Angleichung an die Inflation diente. Die Abgeordneten des Bundestages gönnten sich nunmehr jedenfalls selbst eine Erhöhung ihrer Diäten um 6 %, was 635,50 EUR mehr pro Monat für diese heißt. Ähnliche Erhöhungen gab es auch auf Landesebene. Das ist dann in absoluten Zahlen eine ganz andere Hausnummer.
Und wo sind sie, die politischen Maßnahmen mit Augenmaß? Etwa die Hürden für eine Selbstständigkeit deutlich abzubauen, flexiblere und unbürokratischere Fördermöglichkeiten zu schaffen bzw. eine Selbstständigkeit nach unten hin finanziell abzusichern. Wie sieht es mit der Gestaltung günstiger volkswirtschaftlicher Rahmenbedingungen aus? Das Stichwort Energiepreisexplosion sollte alle daran erinnern, dass hier viele Jahre der Misswirtschaft und politische Scheuklappen unser aller Wohlstand zerstört haben. Und niemand will dafür verantwortlich gewesen sein, die Grünen leugnen zu dem Thema noch immer beharrlich Fakten und Sachverstand aus der Wissenschaft. Expertise, die nicht in ihr Anti-AKW-Lebensbild passt, wird schlicht ignoriert. Hier möchte ich künftig gegenüber den Verantwortlichen Handschellen klicken hören und fordere die Einführung eines neuen Straftatbestandes des Amtsmissbrauchs (mehr dazu in dem mittlerweile erschienenen gesonderten Blogpost).
Dabei braucht es spürbare Entlastungen für kleine und mittlere Einkommen, eine zügigere Anpassung der Regelsätze in der Grundsicherung an die jeweilige Inflationsentwicklung, günstige Energiepreise, eine Begrenzung der Zuwanderung, eine gerechtere Verteilung der Krisenlasten. Und es braucht Zukunftsinvestitionen in bezahlbare Energie und Infrastruktur, damit die Gesellschaft insgesamt krisenfester wird. All das kostet Geld, gewiss. Aber wenn der soziale Friede bröckelt und immer mehr Menschen das Gefühl haben, dass die Starken und Mächtigen sich auf ihre Kosten bereichern, ist das noch viel teurer für die Demokratie. Schon die Corona-Proteste haben gezeigt, wie leicht sozialer Frust von Populisten und Demokratiefeinden ausgenutzt werden kann, um das System an sich in Frage zu stellen. Allein mit repressiven Maßnahmen, wie die Bundesregierung andenkt, etwa die Meinungsfreiheit unterhalb der Strafrechtsschwelle einzuschränken, wird man diesen Protest nicht entschärfen, sondern vielmehr weiter anheizen. Zudem setzt sich die Regierung immer weiter dem berechtigten Vorwurf aus, sie würde mit immer autoritäreren Maßnahmen die Grundrechte dieses Staates aushöhlen.
Deshalb gehört eine vorausschauende, gerechte Sozialpolitik zu den Lebensversicherungen unseres Gemeinwesens. Nur wenn die Bürger erleben, dass die Verfassung ihnen nicht nur hehre Grundsätze verspricht, sondern auch in der Not konkret für sie einsteht, werden sie diese Verfassung als ihre eigene begreifen und verteidigen. "Die Würde des Menschen ist unantastbar" - so lautet der erste und wichtigste Satz unseres Grundgesetzes. Das darf keine hohle Phrase sein. Würde bedeutet auch das Recht auf ein Leben ohne Elend, Ausgrenzung und Zukunftsangst. Wer diese Würde mit Füßen tritt, indem er die Schwächsten in der Not alleine lässt - wie es die Bundesregierung über Jahre getan hat - verrät die Werte unserer Verfassung.
Damit bin ich am Schluss meiner Ausführungen angelangt. Die Beispiele zeigen: Wir dürfen nicht selbstzufrieden sein mit dem Zustand unserer Demokratie. Bei aller berechtigten Freude über 75 Jahre Grundgesetz gibt es gerade dieses Mal keinen Grund für Triumphalismus oder den üblichen Lobeshymnen. Im Gegenteil: Wir müssen hellwach sein für schleichende Erosionsprozesse, die unsere Verfassungsordnung von innen bedrohen: Politische Korruption, eine Aushebelung der Gewaltenteilung durch politische Günstlingswirtschaft, wachsende soziale Ungleichheit - das alles sind Warnzeichen, die wir ernst nehmen müssen. Wir brauchen eine ehrliche Debatte darüber, was gerade in diesem Land schiefläuft und was wir besser machen müssen, damit Freiheit und Gerechtigkeit keine bloßen Verfassungsversprechen bleiben.
Dabei geht es nicht darum, das System an sich in Frage zu stellen oder alle Politiker und Staatsbedienstete unter Generalverdacht zu stellen. Im Gegenteil: Gerade weil uns unsere Demokratie am Herzen liegt, müssen wir sie vor solchen gravierenden Auswüchsen und Fehlentwicklungen schützen. Wir müssen sie immer wieder reformieren und erneuern, damit sie stark und lebendig bleibt. Dafür braucht es eine wache, streitbare Zivilgesellschaft, die sich einmischt und ihre Stimme erhebt. Es braucht Bürger, die Haltung zeigen und sich nicht einschüchtern lassen, wenn sie Missstände anprangern. Es braucht eine lebendige Debattenkultur, in der das bessere Argument zählt und nicht die größere Macht. Und es braucht Verantwortungsträger in Politik und Justiz, die dem Gemeinwohl verpflichtet sind und nicht dem eigenen Vorteil.
Lasst uns gemeinsam dafür streiten, dass die großartigen Versprechen unserer Verfassung für alle Menschen Wirklichkeit werden - egal woher sie kommen, woran sie glauben oder wen sie lieben. Lasst uns den Mut haben, die Dinge beim Namen zu nennen und unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Aber lasst uns auch nach Lösungen suchen, die uns zusammenführen.
In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch zum 75. Geburtstag, liebes Grundgesetz! Mögest du auch in Zukunft unser Kompass sein auf dem nie endenden Weg zu einer gerechteren, freieren und menschlicheren Gesellschaft. Und mögen wir alle die Kraft finden, jeden Tag aufs Neue für dich einzustehen.