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Amtsschimmel - Folge 5: Fragwürdige Äußerungen des Präsidenten des Bundessozialgerichts – Eine Dienstaufsichtsbeschwerde

Wie bereits an anderer Stelle im Blog thematisiert, hatte der Präsident des Bundessozialgerichts, Prof. Schlegel, sich in einem Interview mit der FAZ vom 30.01.24 zu aktuellen sozialpolitischen Themen geäußert. Insbesondere seine Aussagen zur kürzlich erfolgten Bürgergelderhöhung und den geplanten Sanktionsverschärfungen gegen Bürgergeldbezieher warfen viele Fragen auf, etwa ob sich der oberste Repräsentant der Sozialgerichtsbarkeit überhaupt dergleichen äußern darf. 

Die gegebene Antwort des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 11.3.24 durch Frau Schönfelder (Az. Za 1 - 01901) auf meine Dienstaufsichtsbeschwerde vom 30.1.24/6.2.24 ist empörend oberflächlich und inhaltlich höchst defizitiär. Die Bearbeiterin hatte allein folgende formelhafte Bemerkungen zur Begründung abgegeben: "Nach Würdigung aller Umstände hat die Prüfung Ihrer Dienstaufsichtsbeschwerde ergeben, dass Anhaltspunkte für ein im Wege der Dienstaufsicht zu beanstandendes Fehlverhalten des Präsidenten des BSG nicht gegeben sind."

Die Bearbeiterin benennt noch nicht einmal die ihre Entscheidung tragenden Argumente und verhöhnt mich als sachkundigen Bürger mit einer solchen Reaktion ein zweites Mal. Eine gewissenhafte und unabhängige Prüfung sieht in meinen Augen, zumal ich als ehemaliger Fachberater Recht des Landkreises Ludwigslust-Parchim den Staat selbst einmal repräsentieren und ähnliche Angelegenheiten bearbeiten durfte, ganz anders aus.

Prof. Schlegel vertrat die Ansicht, die Erhöhung des Bürgergelds zum 01.01.24 sei zu hoch ausgefallen und die Bedürftigkeitsschwelle zu niedrig angesetzt worden. Zudem befürwortete er die geplanten Leistungskürzungen für Bürgergeldbezieher und meinte sogar, man könne hier noch härter vorgehen. Dies sieht er auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Gegen diese Äußerungen hatte ich am 6.2.24 eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim zuständigen Bundesministerium für Arbeit und Soziales wegen Verstoßes gegen das richterliche Mäßigungsgebot nach § 39 DRiG erhoben. Danach muss sich ein Richter innerhalb und außerhalb seines Amtes so verhalten, dass das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird. Je näher die Äußerungen dem dienstlichen Bereich kommen und je höher das Amt, desto mehr Zurückhaltung ist geboten. Die beanstandeten Aussagen betreffen unmittelbar Schlegels Zuständigkeitsbereich und sind rechtlich heftig umstritten. So wird die Angemessenheit der Grundsicherung 2020-2023 bereits in mehreren Verfassungsbeschwerden angezweifelt. Auch die Vereinbarkeit eines zeitweisen kompletten Leistungsentzugs mit der Menschenwürde ist fraglich. Mit diesen Fragen wird sich absehbar auch das BSG befassen müssen.

Zum Zeitpunkt der Interviewveröffentlichung war Prof. Schlegel noch Präsident des obersten Sozialgerichts, demnach wäre hier besondere Zurückhaltung angezeigt gewesen. Stattdessen bezog Schlegel einseitig Position zulasten der Leistungsbezieher, deren Grundrecht auf Existenzsicherung nach Ansicht vieler Rechtsexperten über Jahre missachtet wurde. Dies könne von den Betroffenen als verletzend aufgefasst werden und habe das Vertrauen in Schlegels Unabhängigkeit erschüttert. Angesichts der Brisanz der Thematik und der exponierten Stellung Schlegels wäre jedoch zumindest eine eingehendere Prüfung durch das für die Dienstaufsicht zuständige Bundesministerium zu erwarten gewesen. Die pauschale Zurückweisung der Dienstaufsichtsbeschwerde wirft somit weitere Fragen auf. Gerade in Zeiten, in denen das Vertrauen in staatliche Institutionen zu schwinden droht, wäre eine sorgfältige und nachvollziehbare Prüfung solch sensibler Vorgänge ein wichtiges Signal gewesen, um dem Eindruck einer abgehobenen Justizelite entgegenzuwirken. Nunmehr billigt man auch noch von Seiten des SPD geführten Ministeriums eine solche Verhöhnung der Betroffenen und versagt bei der gebotenen dienstrechtlichen Kontrolle. Dabei geht es hier nicht um Lappalien, sondern um elementare Grundrechte und den sozialen Zusammenhalt in unserem Land. Wenn schon der oberste Sozialrichter öffentlich Zweifel an der Angemessenheit der Grundsicherung sät und sich für härtere Sanktionen ausspricht, welche Botschaft sendet dies an die Betroffenen? Gerade von dem höchsten Repräsentanten der Sozialgerichtsbarkeit erwarten Bürger zu Recht ein hohes Maß an Unvoreingenommenheit, Sachlichkeit und Empathie.

Natürlich haben auch Richter ein Recht auf freie Meinungsäußerung, ich hatte ihnen aber ausführlich in meiner Dienstaufsichtsbeschwerde hergeleitet, warum die getätigten Äußerungen dienstrechtlich sanktioniert gehören. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urt. v. 30.8.1983, Az. 2 BvR 1334/82) sind die Grenzen der Meinungsfreiheit durch Richter klar benannt worden, insbesondere weil die richterliche Unabhängigkeit und das Vertrauen in die Justiz auf dem Spiel stehen. Eine offene Debatte über diese Grenzen ist daher unerlässlich. Dabei müssen auch unbequeme Fragen gestellt und Fehlverhalten klar benannt werden dürfen. Die Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Prof. Schlegel sollte daher zum Anlass genommen werden, die Rolle und Verantwortung von Richtern in der öffentlichen Diskussion grundsätzlich zu überdenken. Es braucht klare Leitlinien und wirksame Kontrollmechanismen, um das Ansehen der Justiz zu wahren und einer Politisierung der Rechtsprechung vorzubeugen. Nur so kann langfristig sichergestellt werden, dass sich auch die Schwächsten der Gesellschaft auf einen neutralen und verlässlichen Rechtsstaat verlassen können. In diesem Sinne bleibt zu hoffen, dass der Fall Schlegel die längst überfällige Debatte um richterliche Zurückhaltung und Unabhängigkeit neu entfacht. Eine selbstkritische und lernfähige Justiz ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke und Integrität. Daran sollten sich auch ihre höchsten Repräsentanten messen lassen.

Ich bin im Übrigen der Meinung, dass eine Regierung, die es zulässt, dass hohe Repräsentanten unsanktioniert ihre Dienstpflichten verletzen und auch noch vulnerable Teile der Bevölkerung verhöhnen, abgewählt gehört. Durch eine unzureichende Dienstaufsicht delegitimiert sich dieser Staat selbst. Ich habe den Vorgang daher einmal allen im Bundestag vertretenen Fraktionen bzw. Gruppen bekannt gemacht, um dem berechtigten Anliegen Gehör zu verschaffen.

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