Ich bin ein Bürger, der sich um die Unabhängigkeit und die Integrität der Justiz sorgt. Deshalb habe ich gegen den am 13. Februar 2024 aus dem Amt scheidenden Präsidenten des Bundessozialgerichts, Prof. Rainer Schlegel, eine Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben, weil er in einem Interview mit der FAZ vom 30.01.24 als Präsident des Bundessozialgerichts private Äußerungen getätigt hat, die das Vertrauen in seine Unabhängigkeit und in die Integrität der Justiz gefährden. In dem Interview hat er sich zu aktuellen sozialpolitischen Themen geäußert, die teilweise in seinem dienstlichen Bereich liegen oder laufende Verfahren anderer Gerichte betreffen. Damit hat er aus meiner Sicht gegen das sog. Mäßigungsgebot nach § 39 Deutsches Richtergesetz (DRiG) verstoßen, das für alle Richter gilt.
Das Mäßigungsgebot besagt, dass sich der Richter innerhalb und außerhalb seines Amtes, auch bei politischer Betätigung, so verhalten muss, dass das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird. Der Richter muss also auch außerhalb seines amtlichen Pflichtenkreises der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die in das Richteramt gesetzt werden. Die Regelung ist Ausdruck der durch Art. 33 Abs. 5 Grundgesetz (GG) gebotenen Pflicht zur Zurückhaltung. Die Meinungsfreiheit des Richters als Privatperson gilt nur im Rahmen des Mäßigungsgebots aus § 39 DRiG. In der Kommentarliteratur ist anerkannt, dass das Mäßigungsgebot das Vertrauen gegenüber der Justiz als Institution schützt. Der Richter hat eine besondere Verantwortung. Er repräsentiert in seiner Person die Dritte Gewalt. Dieser Rolle muss er im dienstlichen wie im außerdienstlichen Verhalten gerecht werden. Er muss sich so verhalten, dass in der Öffentlichkeit kein ernstlicher Zweifel daran auftritt, dass er gerecht und unabhängig urteilt. Je näher öffentliche Äußerungen dem dienstlichen Bereich des Richters kommen und je höher sein Amt ist, desto mehr Zurückhaltung ist geboten. Betreffen Äußerungen laufende Verfahren anderer Gerichte oder Behörden, ist äußerste Zurückhaltung geboten. Politische Ideen und Auffassungen darf der Richter nicht in aufhetzender oder andere Personen verletzender Weise kundtun.
In dem Interview hat sich Präsident Schlegel zu folgenden Themen geäußert (zitiert jeweils nach n-tv.de - andere O-Töne bei: buergergeld.org), darunter:
1. Über Minijobs: "Man sollte sie abschaffen oder nur noch für Schüler und Studenten zulassen. Eine solche Reform würde die Sozialkassen entlasten und dem Arbeitsmarkt guttun."
2. Zur Bürgergelderhöhung zum 1.1.24: "Sie war gesetzlich so vorgesehen, das Gesetz also hätte weniger drastische Erhöhungen vorsehen müssen. Schon die Schwelle, ab wann jemand bedürftig ist, wurde im Bürgergeldgesetz sehr deutlich abgesenkt."
3. Zu den aktuell beschlossenen Verschärfungen von Sanktionen gegen Bürgergeldbezieher: "Die Politik hätte auch bei den Sanktionen nicht so stark zurückrudern müssen, wie das nach dem Karlsruher Urteil zu Leistungskürzungen geschehen ist". Zu diesem Punkt bezieht Präsident Schlegel wertend Position und wird bei n-tv.de (a.a.O.) wie folgt wieder gegeben: "Die aktuellen Pläne der Bundesregierung, Bürgergeldbeziehern mitunter die Bezüge befristet komplett zu streichen, gehen aus seiner Sicht "in die richtige Richtung". Man könnte sogar noch härter vorgehen, so der oberste deutsche Sozialrichter. Er sieht dabei keine Probleme mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts."
Während die Äußerung zu 1. noch wohlwollend als allgemein-sozialpolitische Auffassung gewertet werden könnte, gehören die Äußerungen zu 2. und 3. offenkundig in den dienstlichen Bereich von ex-Präsident Schlegel. Die ausgesprochene private Rechtsauffassung ist heftig umstritten, so liegen mehrere Verfassungsbeschwerden bereits dem Bundesverfassungsgericht zur Angemessenheit der Höhe der Grundsicherung im Zeitraum 2020-2023 vor (etwa zu § 70 SGB2: SG Karlsruhe, Urteil vom 6.6.23, Az.: S 12 AS 2208/22). Zwar hat das Bundesverfassungsgericht bei Totalverweigerern im Sanktionen-Urteil größere Sanktionsmöglichkeiten zugelassen (Rn. 209), dieser Teil des Urteils steht jedoch im Widerspruch mit anderen Teilen des gleichen Urteils (Rn. 207 und 208) und der früheren Verfassungsrechtsprechung (Leitsatz 1).
Mit seinen Äußerungen hat ex-Präsident Schlegel das Vertrauen in die Justiz gefährdet, denn er hat sich zu laufenden oder potentiellen Verfahren geäußert, die auch in den Zuständigkeitsbereich des Bundessozialgerichts liegen werden. Er hat damit den Eindruck erweckt, dass er nicht mehr unvoreingenommen und objektiv über solche Fragen entscheiden kann und durch das Interview nicht nur politische Entscheider sondern auch andere Richter von seiner Auffassung überzeugen möchte. Er hat auch seine Neutralitätspflicht verletzt, denn er hat sich einseitig für eine bestimmte politische Richtung ausgesprochen, die mit den Interessen vieler betroffener Bürger kollidiert. Er hat zudem seine Pflicht zur Zurückhaltung missachtet, denn er hat sich in aufhetzender oder andere Personen verletzender Weise geäußert, indem er die Bürgergeldbezieher als faul und unwillig dargestellt hat. Er hat damit nicht nur seine eigene Glaubwürdigkeit, sondern auch die der gesamten Sozialgerichtsbarkeit beschädigt.
Ich habe daher die zuständigen Stellen über die in seiner Amtszeit getroffenen Äußerungen informiert und dazu aufgefordert, dass Präsident Schlegel für jene Äußerungen disziplinarisch belangt wird. Mindestens sollte sich dieser öffentlich entschuldigen. Ich erwarte, dass er sich künftig auch als ex-Präsident mit angemessener Umsicht zu rechtspolitischen Themen äußert, die seinen ehemaligen dienstlichen Bereich berühren.