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Weitere "teure Überraschungen" aus Karlsruhe werden folgen

Der Parchimer Rechtsexperte Marcus Seyfarth weist angesichts der derzeitigen Debatte um den Bundeshaushalt darauf hin, dass die Einmalzahlungen für Hartz-IV-Bezieher in den Jahren 2021 und 2022 die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht erfüllt haben dürften. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Jahr 2010 im Hartz-IV-Urteil festgelegt, dass der Gesetzgeber den existenznotwendigen Bedarf von Hartz-IV-Beziehern vollständig decken muss. Die Einmalzahlungen waren jedoch viel zu spät gezahlt worden und sind der Höhe nach willkürlich festgelegt worden. Seyfarth zufolge hat die Bundesregierung damit ihre verfassungsmäßige Pflicht zur Sicherung des Existenzminimums verletzt. "Millionen am Existenzminimum lebender Menschen wurden durch unzureichende Anpassungen für die entstandenen Mehrbelastungen benachteiligt", so Seyfarth. "Das ist sozialpolitischer Sprengstoff." Bisher haben die Sozialgerichte die Einmalzahlungen überwiegend als rechtmäßig bestätigt. Lediglich das Sozialgericht Karlsruhe setzte sich mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ernsthaft auseinander (Urt. v. 6.6.23, Az.: S 12 AS 2208/22) und legte die in Streit stehende Norm dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vor. Seyfarth hofft, dass das Bundesverfassungsgericht dem Karlsruher Urteil folgen und die Einmalzahlungen als verfassungswidrig erklären wird. "Das wäre ein wichtiger Schritt, um den Betroffenen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und aufzuzeigen, dass der Rechtsstaat funktioniert", so Seyfarth, welcher als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einem Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer selbst einmal Staatsrecht lehrte.

Kritik an der Sozialgerichtsbarkeit

Seyfarth kritisiert zudem die Sozialgerichtsbarkeit, die die Einmalzahlungen überwiegend als rechtmäßig bestätigt hat. "Die übrigen Sozialgerichte setzten sich nicht einmal im Ansatz adäquat mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts auseinander, dabei ist auch die Judikative an die Achtung des Grundgesetzes und der Grundrechte gebunden", erinnert Seyfarth die Sozialrichter an ihre Pflicht. "Die Gerichte hätten den Inhalt einschlägiger Urteile des Bundesverfassungsgerichts nicht nur kennen, sondern auch in ihrer eigenen Rechtsprechung zwingend berücksichtigen müssen." Seyfarth sieht sogar die Grenze zur Rechtsbeugung (§ 339 StGB) überschritten, da jene Richter "durch Verkennung der schweren Verfassungsverstöße eine vorsätzliche unvertretbare Verletzung von Recht und Gesetz begangen haben und sich auch bewusst in schwer wiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt haben." Bei der Staatsanwaltschaft Schwerin und dem von der Linkspartei geführtem Justizministerium Mecklenburg-Vorpommerns stieß Seyfarth mit diesen Überlegungen auf taube Ohren. "Dort sitzt man die Sache aus und wird erst dann wieder ganz verwundert in die Kameras gucken, wenn das Bundesverfassungsgericht die Politik und Justiz an ihre Pflichten erinnern wird."

Konsequenzen für die Bundesregierung

Sollte das Bundesverfassungsgericht die Einmalzahlungen für verfassungswidrig erklären, hätte dies erhebliche finanzielle Konsequenzen. Die Bundesregierung müsste an die Betroffenen einen angemessenen Betrag nachzahlen, um den verfassungsrechtlichen Anspruch auf ein existenznotwendiges Existenzminimum zu erfüllen. Dessen Höhe müsste in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf ermittelt werden. 

Weitere Versäumnisse durch die Bundesregierung

"Es wird auch nicht nur bei den Einmalzahlungen bleiben", ist sich Seyfarth sicher. Vor dem Landessozialgericht MV wird bereits eine weitere Klage von Seyfarth verhandelt (Az.: L 2 AL 30/21), welche die be­fris­te­te Co­ro­na-Son­der­re­ge­lung zur Ver­län­ge­rung des An­spruchs auf Ar­beits­lo­sen­geld 1 um drei Mo­na­te betrifft. Jene galt nur für Per­so­nen, deren An­spruch in der Zeit vom 01.05.2020 bis zum 31.12.2020 aus­ge­lau­fen ist. Vor dem Hintergrund der vom Bundestag festgestellten e­pi­de­mi­schen Lage von na­tio­na­ler Trag­weite und der damit einhergehenden Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt, sei laut Seyfarth der Beendigungszeitpunkt willkürlich gewählt worden. Denn die Pandemie und die Folgen für den Arbeitsmarkt waren ja nicht am 1.1.2021 vorbei, sondern nahmen in 2021 erst richtig an Fahrt auf und dauerten bis in 2022 hinein. Folgerichtig hätte die Bundesregierung bis zum Auslaufen der epidemischen Lage einen solchen Anspruch fortschreiben müssen.

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