Nachgeharkt: Der spannende Fall des Bremer Pastors Olaf Latzel ging heute vor dem Landgericht Bremen zu Gunsten des Angeklagten aus. Latzel wurde freigesprochen, die Staatsanwaltschaft kann aber noch Revision einlegen.
Der streitbare konservative Theologe wurde zunächst wegen kritischer Äußerungen zur Homo-Ehe und "Homo-Lobby" in einem Eheseminar vor dem Amtsgericht Bremen wegen Volksverhetzung verurteilt, dieses Urteil hob das Landgericht nunmehr auf. Zu dem Verfahren hatte ich mich im Blog bereits einmal kommentierend geäußert und ebenso auf Freispruch plädiert. Jenes Urteil enthielt meines Erachtens gravierende Mängel bei der Würdigung des Sachverhaltes und der Auseinandersetzung mit der Religions- und Meinungsäußerungsfreiheit, die für einen Freispruch sprachen. Das heutige Ergebnis ist daher eine gute Nachricht.
Entscheidend dabei dürfte auch die Einschätzung der gehörten Gutachter gewesen sein.
"Im Mittelpunkt standen dabei biblische Auslegungen, Fragen des Umgangs mit Homosexualität und der Gendertheorie sowie abwertende Äußerungen des Geistlichen zu beiden Themen. Die Äußerungen des Pastors sind nach Darstellung des katholischen Alttestamentlers Ludger Schwienhorst-Schönberger im Grundsatz von der Bibel gedeckt. Die Irritationen über die zugespitzte und scharfe Wortwahl des Geistlichen seien verständlich, die Schriften in der Bibel aber eindeutig. Sie stuften gelebte Homosexualität als Sünde ein. Allerdings sei Homosexualität in der Bibel nur ein Randthema.
Latzel vertrete konservative Positionen, sagte Schwienhorst-Schönberger, der an der Universität Wien lehrt. Diese stellten aber keinen privaten abwegigen Sonderweg dar, sondern seien auch in theologischen Kreisen, bei Wissenschaftlern und der katholischen Kirche zu finden. Im Mainstream der liberalen, modernen und säkularen Gesellschaft seien solche Positionen aber nicht akzeptabel und plausibel. Er könne aber in den Äußerungen keinen Aufruf zum Handeln gegen Homosexuelle sehen und auch keine Anstachelung zum Hass.
Dieser Auffassung widersprach später die als Gutachterin geladene evangelische Theologin und Professorin der Universität Bochum, Isolde Karle. Es sei weitgehend Konsens in der evangelischen Wissenschaft, dass Homosexualität keine Sünde sei."
Das Gutachten von Theologieprofessorin Isolde Karle wurde in dem Verfahren jedoch mit Erfolg angegriffen. Ihr Gutachten enthielt Aussagen, die Zweifel an Karles Unvoreingenommenheit weckten. So habe sie Latzels Aussagen zu seinem Nachteil ausgelegt und seine Eignung für den Pfarrerberuf infrage gestellt. Außerdem hat sie die Aussagen des Pastors als „hetzerisch“ und „zum Hass aufstachelnd“ bezeichnet und damit eine unzulässige rechtliche Wertung vorgenommen.
Das Verfahren hat nunmehr gezeigt, dass das scharfe Schwert des Strafrechts nicht dazu geeignet ist theologische sowie politische Streitfragen zu Gunsten einer Seite zu entscheiden und mithin missliebige konservative Ansichten zu kriminalisieren. Das Grundgesetz lässt nämlich auch scharfe Meinungsäußerungen zu, die fürwahr die Grenze zur Hassrede nicht überschreiten dürfen. Latzels Äußerungen taten dies jedenfalls nicht.
Eine Nebenfolge der Berichterstattung war jedenfalls auch großer Zuspruch, den Latzel als auch seine Bremer Gemeinde erhielt. Ich hoffe sehr, dass die ansonsten dem Zeitgeist anheim fallenden Funktionäre der evangelischen Kirche dies registriert haben.
Update: Mittlerweile hat das OLG Bremen zu dem Fall Stellung bezogen, ihm fehlten aber nähere Angaben in dem Urteil des Landgerichts zu den Äußerungen Latzels, "[d]ie Kammer hätte hierzu die von ihr für relevant erachteten Passagen vollständig wörtlich zitieren oder aber deren Gesamtkontext aussagekräftig darstellen müssen, wobei dessen Sinngehalt sich erst durch die vollständige Kenntnis der konkreten im Kontext stehenden weiteren Äußerungen und Passagen erschließen lässt. [...] Das angefochtene Urteil war wegen dieses Begründungsmangels nach § 353 Abs. 1 StPO aufzuheben und die Sache war gemäß § 354 Abs. 2 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts Bremen zurückzuverweisen."
Ansonsten weist das OLG Bremen noch darauf hin, "dass ein nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB vorausgesetzter Angriff auf die Menschenwürde nicht schon immer dann vorliegt, wenn durch eine Äußerung die Ehre oder das allgemeine Persönlichkeit eines anderen tangiert ist, sondern es wird hierfür vorausgesetzt, dass der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als minderwertiges Wesen behandelt wird (siehe BVerfG, Beschluss vom 25.03.2008 – 1 BvR 1753/03, juris Rn. 38, NJW 2008, 2907; BGH, Urteil vom 14.01.1981 – 3 StR 440/80 (S), juris Rn. 9, NStZ 1981, 258; Urteil vom 15.03.1994 – 1 StR 179/93, juris Rn. 15, BGHSt 40, 97). Soweit vom Tatgericht nach diesen Kriterien ein Angriff auf die Menschenwürde bejaht werden sollte, muss ein vom Angeklagten für seine Äußerungen in Anspruch genommener Schutz aus den Grundrechten der Religionsfreiheit und der Meinungsäußerungsfreiheit zwingend zurücktreten, da die die Menschenwürde als Wurzel aller Grundrechte mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig ist (siehe BVerfG, Beschluss vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, juris Rn. 121, BVerfGE 93, 266; Beschluss vom 25.03.2008 – 1 BvR 1753/03, juris Rn. 38, NJW 2008, 2907; Beschluss vom 04.02.2010 – 1 BvR 369/04, juris Rn. 29, NJW 2010, 2193)". Ich hatte mich ja bereits zu den hohen Hürden geäußert, die durch § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB aufgestellt werden und in dem Fall von Pastor Latzel nicht erkennen kann, dass seine Äußerungen hierunter subsumierbar sind.