Zu lange hat man in Berlin die Haltung Russlands falsch eingeschätzt und sich über expansive Absichten täuschen lassen. Das war bequem, konnte sich Deutschland doch auf einen mehrdeutigen Kurs zurückziehen, welcher einerseits auf wirtschaftliche Kooperation und andererseits auf moralische Appelle und Wirtschaftssanktionen setzte. Besonderen Anstrengungen, insbesondere im Rüstungs- und Verteidigungsbereich, die auch etwas gekostet hätten, ging man damit aus dem Weg. Investitionen in jenen Bereichen wären im pazifistischen Deutschland auch kaum populär gewesen. Eine solche strategische Kurzsichtigkeit und Naivität kam jedoch nicht erst heute bei unseren Partnern in der Welt, vor allem im Baltikum und den USA, nicht gut an. Deutschland hatte sich 2014 dazu verpflichtet mehr in die Verteidigung zu investieren. Davon zu sehen ist heute so gut wie nichts, stehen wir doch immer noch, mit den Worten des Heeresinspekteurs gesprochen, "blank" da.
Das wird sich künftig aber ändern, mit der heutigen Ankündigung von Bundeskanzler Scholz nunmehr - Jahr für Jahr - mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung zu investieren, hat die jahrzehntelange Vernachlässigung der Bundeswehr endlich ein Ende gefunden. Auch hatte am Abend zuvor die Bundesregierung angekündigt Luft- und Panzerabwehrwaffen in die Ukraine zu schicken, nachdem man vorher sich dem kategorisch geweigert hatte und dies vor allem mit der Deutschen Geschichte begründete - ebenfalls eine 180-Grad-Wende der noch vor Wochen vertretenen Position. Die Politikwechsel begrüße ich ausdrücklich als einen wichtigen Schritt einer von Realpolitik gekennzeichneten Außenpolitik. Als größte Wirtschaftskraft Europas stehen wir eben auch in Verantwortung für Sicherheit in Europa zu sorgen, da liegt es im unseren eigenen Interesse Waffen zur Stärkung der Abwehrkräfte der nunmehr in einem Abwehrkampf befindlichen Ukraine zu entsenden, als auch mehr für die eigene Verteidigung auszugeben. Deutschland hat sich - zumal nach 2014 - viel zu lange mit dem Kopf in den Sand einer möglichen russischen Aggression verschlossen. Jetzt dürfte es aber auch in der Bevölkerung angekommen sein, dass Sicherheit nicht länger kostenlos zu bekommen ist und wir für die Landesverteidigung wieder mehr Geld ausgeben müssen. Zu groß ist die Zäsur durch den russischen Angriffskrieg in der europäischen Sicherheitsarchitektur.
Doch nicht nur im Verteidigungssektor muss ein Umdenken erfolgen, auch im Energiesektor sind Kehrtwenden gleichen Ausmaßes notwendig. Der dort aus ideologischen Gründen ausgelebte ökonomische wie ökologische Unsinn muss enden, das bedeutet vor allem, sich der Kernkraft nicht länger kategorisch zu verweigern. Wenn wir uns von Kohle und der Abhängigkeit von russischem Gas lösen wollen und dabei die Versorgunssicherheit nicht gefährden wollen, führt an der Kernkraft kein Weg vorbei. Und damit meine ich nicht nur die drei noch laufenden Atomkraftwerke in Deutschland länger am Netz zu lassen, um damit den Anteil an Kohle und Gas zu minimieren. Es muss mittel- bzw. langfristig der Wiedereinstieg in moderne Atomtechnik vollzogen werden, um sich von russischen Importen unabhängig zu machen. Es ist nicht länger zu vermitteln, warum wir entweder Putins Kriegskasse weiter füttern oder mühsam teures Gas anderswo einkaufen und zwei LNG-Terminals bauen müssen, wo wir doch mit der Atomkraft lokal eine Energieerzeugungsform haben könnten, die Versorgungssicherheit und -unabhängigkeit sicherzustellen in der Lage wäre. Auch hier rächen sich politische Fehler der letzten Dekaden, die Deutschland in eine unangenehme Position gebracht haben und dringend der Korrektur bedürfen.