Svenja Schulze - bis zum Ende der Legislaturperiode noch unsere Umweltministerin - hat sich bemüßigt gefühlt gegenüber Bill Gates auszuteilen. Gates hatte ein Buch vorgestellt, in dem er sich für einen Ausbau moderner Kernreaktoren aussprach und - wenig überraschend - damit hierzulande kognitive Dissonanzen in der rot-grünen Medienlandschaft ausgelöst. Nur belässt es Bill Gates nicht nur bei Worten, Teile seins privaten Vermögens hat er seit Jahren in das amerikanische Unternehmen Terrapower gesteckt, das für seine innovativen Ansätze moderner Kerntechnik jüngst vom amerikanischen Energieministerium gefördert wurde, um einen fortschrittlichen Reaktortyp in sieben Jahren zur Marktreife zu entwickeln.
Svenja Schulze hält von Kernkraft wenig und hat für ihren ideologischen Kreuzzug gegen die Atomkraft auch schon die Silberne Sumpfpumpe gewonnen, keine rühmliche Auszeichnung. An anderer Stelle im Blog habe ich ihre Haltung bereits kritisiert und werde sie auch weiterhin für den von ihr verbreiteten Unsinn zur Verantwortung ziehen. Kürzlich stellte sie sich in einem Interview in der Augsburger Allgemeinen dem politischen Druck durch die Thesen des erfolgreichen Multimilliardärs. Darin führte sie folgende Gegenargumente aus:
"Erstens die Kosten. Schon heute kostet Atomstrom deutlich mehr als Strom aus erneuerbaren Quellen. Der Neubau von Atomkraftwerken verursacht gigantische Kosten. Das sind richtige Kostenfallen. Frankreich, Großbritannien und Finnland müssen da gerade bittere Erfahrungen durchmachen. Zweitens passen schwerfällige Großkraftwerke nicht mehr zur Energiewende, die auf dezentrale Erneuerbare setzt. Drittens geht der Klimawandel auch an den Atomkraftwerken nicht spurlos vorüber, wenn im Sommer bei großer Hitze das Kühlwasser fehlt. Wir mussten Frankreich aus diesem und anderen Gründen schon öfter mit Stromexporten helfen, damit es dort genügend Strom gibt. [Viertens] ist der Atommüll. Wir haben die Atomkraft in Deutschland für drei Generationen genutzt, 30.000 Generationen müssen sich mit den strahlenden Hinterlassenschaften beschäftigen. Denn der Atommüll muss für eine Million Jahre sicher gelagert werden und das kostet sehr viel Geld. Auf all diese Punkte hat Bill Gates keine Antworten. [...] Klimaschützer sollten sich nicht auf irgendwelche Wetten auf die Zukunft verlassen, die sich bislang immer als Illusionen herausgestellt haben. Es wird seit langem immer wieder versprochen, dass die nächste Generation von Atomkraftwerken sicherer, billiger und besser sei als die Generationen davor. Bisher ist das noch nicht eingelöst worden. Das sind Märchen. Genau wie die Behauptung, dass die neuen Generationen den Atommüll fressen würden. Warum soll man eigentlich weiter auf diesen Weg setzen, wenn man einen hat, der viel, viel günstiger und sicherer ist?"
Untersuchen wir doch einmal die Behauptungen der Umweltministerin. Das DIW hatte in der Tat in einem Beitrag (https://doi.org/10.18723/diw_wb:2019-30-1) unter der Mitautorschaft der bekannten Energieexpertin Claudia Kemfert unter anderem die These aufgestellt, dass Kernkraftwerke nicht rentabel seien. Diese Studie litt aber unter so gravierenden Mängeln, dass dieser Befund als widerlegt gelten muss. So hatten Dr. Anna Veronika Wendland und Dr. Björn Peters sich die Mühe gemacht die DIW-Studie zu analysieren und haben eine Erwiderung veröffentlicht, die zu einem vernichtenden Urteil gelangte:
"Festzustellen ist, dass bei der Berechnung von
Kernkraftwerkskosten willkürlich ungünstig gewählte Eingangsparameter das
Resultat vorherbestimmten und die Methoden der Investitionsrechnung nicht
vollumfänglich beherrscht werden. Flankiert wird dieses Vorgehen durch eine
hoch selektive Quellen- und Literaturauswahl, welche die Botschaft der
Kernenergie als Hochrisikoindustrie transportieren soll. Quellen aus der
Anti-Atom-Bewegung werden unkritisch zitiert, Aussagen neutraler Quellen aus
ihrem Kontext gerissen oder in ihrer Aussage falsch dargestellt, weite Bereiche
der Forschungsliteratur ignoriert. Der Befund des DIW, es handle sich bei der
Kernenergie um eine gefährliche Polit- und Militärtechnik ohne ökonomischen
Nutzen, entspringt einer verzerrenden Darstellung historischer Sachverhalte,
die durch die Quellen und den internationalen Forschungsstand nicht gedeckt
ist. Etliche Behauptungen des DIW zu kerntechnischen Sachverhalten sind zudem
sachlich unrichtig. Ein solches Vorgehen verstößt gegen die Regeln guter wissenschaftlicher
Praxis. Das Motiv der Autorengruppe ist ausweislich ihrer eigenen Aussage, die
seit einiger Zeit aufkommende Diskussion, um den Nutzen der Kernenergie in
einer guten Klimastrategie zu beeinflussen. Es ist prinzipiell ein legitimes
Motiv von Expertinnen und Experten, Diskurse und politische Entscheidungen in
Umbruchsituationen mit Handlungsdruck und unsicherem Zukunftshorizont
beeinflussen zu wollen. Doch es steht zu vermuten, dass das DIW die
Diskussion um den besten Energiemix für eine nachhaltige und saubere
Stromversorgung nicht einfach nur beeinflussen, sondern mit einer „Basta“-
Aussage beenden will. [90] Die Studie zielt vor allem auf politische
Entscheider und mediale Multiplikatoren in Deutschland, die durch die Krise der
Energiewende und die Klimadebatte verunsichert sind. Das DIW, das die Regierung
in energie- und klimapolitischen Fragen berät und sich vor allem durch eine
Affirmation des deutschen Energie-Sonderwegs profiliert hat, fürchtet in der
gegenwärtigen Diskussion offensichtlich um seine Diskurshoheit und möchte ein
Nachdenken über die Kernenergie als Teil eines klimafreundlichen Energiemixes
in Deutschland und jenseits seiner Grenzen verhindern. Es nimmt dabei auch eine
Positionierung gegen die Szenarien des IPCC und gegen die Energiepolitiken
vieler europäischer Partner in Kauf, in deren Klimastrategie die Kernenergie
eine Rolle spielt. Doch gute Forschung verschließt nicht die Augen vor Daten
und Literatur, welche die eigene Hypothese falsifizieren könnten. Und gute Beratung
schließt eine kritische Begleitung der Entscheider und eine frühzeitige Warnung
vor Fehlsteuerungen ein. Eine solche Fehlsteuerung ist die Fixierung der
deutschen Energiewende auf den Atomausstieg und das nur unter hohen Risiken für
den Industriestandort erreichbare Ziel, die Stromversorgung der Zukunft alleine
auf den Niedrigenergieflüssen von Umgebungsenergien aufzubauen. Eine gute
Klimastrategie jedoch sollte alle Instrumente einbeziehen, welche geeignet
sind, unsere industrielle Welt effizient zu dekarbonisieren, ohne sie zu
demontieren. Dazu gehört auch die Kernenergienutzung. Auf der Tagesordnung
steht folglich, diese Diskussion zu führen, statt sie zu verweigern."
Dezentrale Erneuerbare sind zudem ineffizienter als Großkraftwerke und machen zusätzliche Investitionen in den Netzausbau notwendig, Dr. Björn Peters hierzu:
"Die Mär, dass Umgebungsenergien per se umweltfreundlich und nachhaltig seien, hält einer Überprüfung nicht stand. Wer statt auf wenige Großkraftwerke auf Millionen ineffizienter Klein- und Kleinstkraftwerke setzt, vervielfacht den Ressourcen-, Flächen- und Landschaftsverbrauch. Daran ist nichts „öko“ oder „grün“. Allein der Bergbau für die zusätzlichen Mengen an Stahl, Lithium, Seltenen Erden usw. zerstört ganze Landstriche, nur nicht hier in Deutschland. Ähnlich sieht es hierzulande aus, wenn man tausende Quadratkilometer allein in Deutschland mit Chemie-intensiven Monokulturen an Raps und Mais bepflanzt, um daraus Energie zu gewinnen. Das ist ein Schlag gegen die Artenvielfalt, den wir schleunigst beenden sollten. Dabei ist die Situation der Greifvögel dank Windkraftausbau auch nicht hilfreich, und dass bei Offshore-Windanlagen die Fundamente mit tausenden, 200 Dezibel lauten Rammstößen verankert werden, die das Gehör der geschützten Schweinswale zerstören und viele von ihnen dann verhungern, sowie dass der Orientierungssinn von Fischen durch die Unterseestromkabel gestört wird, findet hierzulande noch kaum Beachtung."
Der Umweltministerin scheint auch nicht bewusst zu sein, dass es Reaktortypen gibt, die gar kein Kühlwasser benötigen - etwa der Flüssigsalzreaktor. Ein solches Argument geht damit völlig am technischen Fortschritt vorbei, wie auch der Verweis auf die Folgen des Atommülls. Dieser "Müll" kann nämlich in Reaktoren des Schnellspektrums, wie dem russischen BN-800, größtenteils weiter als Kraftstoff verwendet werden und den Brennstoffkreislauf schließen, wie es auch in Deutschland einmal angedacht war. Das sind keine Märchen, der Flüssigsalzreaktor wurde in den USA bereits in den 60er- und 70er-Jahren erprobt, der BN-800 läuft seit diesem Jahr in einer solchen Konfiguration am Netz! Die Folge jener Entwicklung ist, dass radiotoxische Isotope wie Plutonium (etwa aus alten Atomwaffen oder abgebrannten Kernbrennstäben) weiter genutzt und in weniger langlebige und weniger toxische Spaltprodukte umgewandelt werden könnten. Die Zerfallsprodukte müssten nur noch für 500 - 1000 Jahre endgelagert werden und damit deutlich weniger als derzeit vorgesehen. Siehe da: Mit technischem Fortschritt lassen sich die immer wieder geäußerten Nachteile überwinden, man müsste nur den politischen Willen aufbringen diese moderne Atomkraftwerke auch hier zu bauen. Es braucht also gar nicht den anderswo immer wieder propagierten Ökosozialismus.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn Schulze darauf verweist, dass Klimaschützer sich nicht auf irgendwelche Wetten auf die Zukunft verlassen sollten, die sich bislang immer als Illusionen herausgestellt hätten. Sie will damit wohl auf die Verheißungen der Kernfusion anspielen. Sie sieht aber kein Problem darin, dass die gegenwärtige Strategie Deutschlands überhaupt erst schlüssig wird, wenn die Kapazitäten für Energiespeicher zur Verfügung stünden, um eine 14-Tägige Dunkelflaute, wie sie in Europa im Herbst und Winter gängig sind, zu überbrücken. Denn sowohl die benötigten Größenordnungen sprengen alles, was die gegenwärtigen Speichertechnologien im Stande zu leisten sind, auch sind in den Planungen der Bundesregierungen bis zum Jahr 2030 im optimistischsten Szenario nur 15,5 GW (im pessimistischsten Szenario: 9 GW) an Kapazitäten vorgesehen, die aber bei weitem nicht den Bedarf von 45.000 - 80.000 GWh abdecken. Und so lange diese Speicher nicht in ausreichender Kapazität existieren, wird man zur Bewältigung der Grundlast auf Gas- und Kohlekraftwerke angewiesen bleiben, die gegenüber den Kernreaktoren eine deutlich schlechtere CO2-Bilanz aufweisen und auch die Luft dreckiger machen. Es ist ein Skandal, dass man das den Bürgern auch noch als "grün" verkauft und willfährige Gehilfen in der Wissenschaft diese Linie auch noch rechtfertigen, etwa eine durch Greenpeace finanzierten Studie des Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS).
Dr. Peters hat die FÖS-Studie zusammen mit Hans-Peter Musahl ausgewertet und kamen in ihrem Gegenaufsatz zu dem folgenden Schluss: "Die Missachtung von wissenschaftlicher Methodik, von Grundkenntnissen der Volks- und Betriebswirtschaftslehre, der Umweltökonomie, der Energiewirtschaft und der Kerntechnik, die einseitige Quellenauswahl bis hin zur Verwendung von Zeitungsartikeln als vermeintlich wissenschaftliche Quelle, das Leugnen der positiven Effekte der Kernenergie, die deren gesellschaftliche Kosten weit überwiegen, ist dem FÖS nicht würdig. Entweder sind sie ein Anzeichen von nicht ausreichender wirtschaftswissenschaftlicher Kompetenz am Institut sowie von Unkenntnis wissenschaftlicher Methodik, oder das FÖS führt die Leser bewusst in die Irre mit dem Ziel, im Namen der Auftraggeber aus dem Bereich der NGO für die Kernenergie möglichst hohe Phantasiekosten ausweisen zu können. Beides diskreditiert die Studie und den Auftraggeber. Schwerer wiegt, dass mit den irreführenden Aussagen des FÖS (und anderer Institute) eine Energiepolitik durchgesetzt wurde, die auf Basis falscher Informationen große ökologische und volkswirtschaftliche Schäden hervorgerufen hat. Gerade im Vergleich zur Kohleverstromung zeigt sich, dass Deutschland erhebliche Kosten und Umweltschäden vermieden hätte, wäre das nukleare Ausbauprogramm ähnlich wie in Frankreich über die 1990er-Jahre hinaus fortgesetzt worden. Denn wer aktuelle Fakten umfassend bewertet, stellt fest, dass der Nutzen der Kernkraft sich in vielen hunderten von Milliarden Euro berechnet, während die relativ geringen Subventionen für deren Entwicklung weit niedriger sind, und dass die vom FÖS behaupteten gesellschaftlichen Kosten der Kernkraft keiner Überprüfung standhalten. Im Ergebnis kommen wir zum Schluss, dass die Forschungskosten der Kernenergie für Deutschland seit deren Beginn in den 1950er-Jahren sowie die weiteren mit der Nutzung der Kernkraft in Verbindung stehenden Kosten höchstens mit 50 Milliarden Euro zu beziffern sind statt über einer Billion Euro, wie vom FÖS angenommen, während der vom FÖS übersehene gesellschaftliche Nutzen der Kernkraft im Bereich von 400 bis 800 Milliarden Euro liegt. Insofern waren die staatlichen Ausgaben für die Entwicklung der Kerntechnik eine sinnvolle Investition. Die Größenordnung im Unterschied zwischen Nutzen und Kosten legt sogar nahe, dass Deutschland stark davon profitiert hätte, auch nach 1990 die Entwicklung der Kerntechnik hierzulande deutlich weiter auszubauen. Der Vergleich mit Frankreich zeigt, dass wir mit einer stärker nuklear geprägten Energiestrategie etwa halb so hohe Stromkosten hätten, was einem Konjunkturprogramm in Höhe von über einem Prozent des Bruttosozialprodukts entspräche. Gleichzeitig wäre die Stromproduktion mit einem Zehntel der CO2-Emissionen verbunden, die wir derzeit haben. Es lohnt also, die Fakten umfassend zu bewerten. Tut man dies, kommt man zu exakt entgegengesetzten energiepolitischen Schlussfolgerungen wie das FÖS."
Deutschland hat mit seinem Sonderweg nunmehr die höchsten Stromkosten der Welt - was daran "günstig" sein soll, sieht wahrscheinlich nur die Ministerin. Das ist ein immenser volkswirtschaftlicher Nachteil, denn stromintensive Industrien (auch wenn diese gegenüber Privatverbrauchern begünstigt werden) wandern ins Ausland ab und hier produzierte Waren verteuern sich, das generiert weitere Mehrbelastung für die Verbraucher über die Mehrkosten für den Strom hinaus und sorgt dementsprechend für einen Wohlstandsverlust! Und wir haben immer noch hohe CO2-Werte, dem Mehraufwendungen steht also kein Gewinn auf Seiten der Umwelt gegenüber. Und nicht einmal die Behauptung, dass Wind- und Solarkraft sicherer seien, stimmt. Deren Zahl an Todesopfern liegt doppelt so hoch wie bei der Kernkraft, nämlich bei 0,02 Todesfällen je erzeugter Terrawattstunde Strom zu 0,01 Todesfällen je erzeugter Terrawattstunde Strom.