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Gib uns unsere Freiheit zurück!

Ein Plädoyer die Entbürokratisierung voranzutreiben - für einen durchsetzungsfähigeren und schlankeren Staat.

Der folgende Essay wurde anlässlich eines Wettbewerbs zum forumWHU 2006 der Otto Beisheim School of Management, Vallendar, eingereicht und von einer Professorenjury mit dem 3. Platz prämiert.

Unverhältnismäßige Bürokratie bremst Wachstum und Beschäftigung in Deutschland, lautet der allseits festgestellte Keim des schleppenden deutschen Wirtschaftswachstums. Das allwiederkehrende Mantra der Politiker sich zu bemühen, Bürger und Wirtschaft von unnötigen Belastungen zu befreien, war in der Vergangenheit von unzureichendem Erfolg.


Obwohl es schon fast zum politischen Standardprogramm gehört Entbürokratisierung und Deregulierung zu fordern, hat Bundespräsident Köhler laut eigenen Aussagen immer neue Gesetze auf dem Tisch, die eher mehr Bürokratie schaffen und die Regelungsdichte noch erhöhen, anstatt sie abzubauen. Er forderte deshalb zu recht in jener Hinsicht: “Um jetzt wirklich voranzukommen, ist starker politischer Wille gefragt, und zwar auf allen Ebenen unseres Staates.“


Wie ist der Regulierungswut Einhalt zu gebieten, die ambivalent von vielen einerseits als positiver Ausdruck von möglichst alles durchdringender Gerechtigkeit für möglichst viele Beteiligte gepriesen, doch andererseits wegen der hohen Regulierungsdichte mal für mal gegeißelt wird?


Sind gar Gerechtigkeit und Rechtssicherheit auf der einen und Freiheit auf der anderen Seite in der Regulierungsfrage unvereinbar?


Zur Beantwortung der letzteren Frage genügt ein Blick in das europäische Ausland. Der Erfolg in Ländern mit einem pragmatischen Ansatz beweist, dass mit nachhaltigen Kraftanstrengungen und einer klaren Vision von guter und moderner Regulierung es möglich ist, die Effizienz und Effektivität von staatlichem Handeln zu erhöhen. So haben Großbritannien, die Niederlande, Dänemark und Tschechien ein mathematisches Kostenmodell implementiert, das die entstehenden Kosten von alten und neuen Regelungen misst. Dadurch, dass sich auf die Umsetzung und nicht den Regulierungsinhalt fokussiert wird, sind in den angesprochenen Ländern eine Entideologisierung und der Schritt hin zu mehr Sachlichkeit eingetreten.


Das Kostenmodell erhöht die Transparenz, indem es die öffentliche Diskussion objektiviert und in Folge dessen von tatsächlichen und nicht von gefühlten Belastungen gesprochen wird. Somit erhält die Politik erstmals harte Fakten als Steuerungsinformation an die Hand, was es der Gesellschaft kosten wird, eine bestimmte Verordnung durchzusetzen.


Die Bürger profitieren ebenfalls: Wenn ein Ministerium vor Augen geführt bekommt, welche Kosten ein Gesetz oder eine Verwaltungsvorschrift verursacht, entsteht ein öffentlicher Druck, diese Kosten zu vermeiden. Oder zumindest zu verringern. Das Kostenmodell liefert zwar einen lediglich groben Überblick über die für die Wirtschaft und den Staat entstehenden Kosten, dies ist allerdings immer noch fortschrittlicher als wie bisher ins Ungewisse hinein zu regulieren.


In den Niederlanden wird auf Grundlage der Ergebnisse des Kostenmodells eingeleiteten Fülle von Maßnahmen eine Nettokostenreduktion von 25% prognostiziert.


Denkfabriken wie die Bertelsmann-Stiftung oder die „Initiative Neue und soziale Marktwirtschaft“ haben in Studien auf mehrere Problemfelder hingewiesen, um der sich schlängelnden Hydra „Bürokratie“ auch in Deutschland die Köpfe abzuschlagen, ohne dass schon bald von neuem Köpfe in doppelter Zahl empor recken werden. Am Ende der Mühen wird konsequentes Vorgehen belohnt. In Deutschland gehen Wirtschaftsinstitute, wie das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW), von einem Wachstumspotential von 1,5 - 1,75% oder ca. 20 - 30 Mrd. Euro im Jahr aus. Und das jedes Jahr!


Philosophisch notwendig, als theoretische Grundlage staatlichen Handelns, ist den Studien zufolge die Entwicklung eines positiven Leitbildes mit Orientierung an langfristigen Gemeinwohlinteressen. Mit der Gesamtheit der Bürger als Adressaten. „Ein schlanker, aber starker Staat setzt Rahmen, definiert Spielregeln und schafft Anreize. Er fördert die Freiheit und zieht die staatliche Eigenausführung nur subsidiär in Betracht. Der Staat sollte die größtmögliche Regulierungsqualität anstreben. Sein Handeln muss daher zugleich notwendig, effektiv und effizient, messbar, transparent und verständlich, wettbewerbs- und eigenverantwortungsaktivierend sowie nicht diskriminierend sein.“ Er orientiert sich an der aus der Wirtschaft bekannten Methode des „Best Practice“ und identifiziert den jeweiligen Anteil von Europa, Bund und Ländern an den Kosten für ein Bewusstwerden von Verantwortlichkeit - fern der Scheuklappen des eigenen Machtressorts.


Nicht vergessen werden darf: Auch der schlanke Staat steuert! In vielen Fällen können legitime staatliche Ziele aber auch mit geringeren Belastungen für Bürger und Wirtschaft erreicht werden, als es bisher praktiziert wird. Um eine maximale Wirkung zu erreichen, sollte sich der Bürokratieabbau zuerst auf diejenigen Prozesse konzentrieren, die wegen ihrer Häufigkeit und der damit verbundenen Kosten von besonderer Bedeutung sind. Sofern die Kostentreiber ermittelt wurden ist gute Regierungsführung entscheidend.


Dazu gehören neben einen klaren politischen Willen und handlungsfähigen Strukturen auch ausreichende Ressourcen und externe, unabhängige Kontrolle. So absurd es klingt: Um die Bürokratie zu bekämpfen, ist es erst einmal nötig neue Bürokratie zu schaffen. Erinnern wir uns, dass alle Ministerien alte und neue Gesetze sowie Verordnungen mit Hilfe des Kostenmodells zunächst überprüfen müssen, bevor auch nur eine Verordnung gestrichen wird. Für Nachhaltigkeit braucht es dennoch mehr.


Laut Experten ist der Aufbau einer internen Steuerungsautomatik erforderlich, die in der Regierungszentrale (Kanzleramt bzw. Staatskanzlei) angesiedelt ist, personell nach außen sichtbar wird und mit Durchsetzungsmacht gegenüber anderen Verwaltungseinheiten ausgestattet ist. Die zentrale Ansiedlung des Ombudsmannes verhindert das Durchsetzen von wirtschaftlichen oder ideologischen Partikularinteressen bzw. internen Bürokratieinteressen zu Lasten des Gemeinwohls.


Dass sich das mehr an Bürokratie am Ende auszahlt, beweist eine Analyse innerhalb des niederländischen Landwirtschaftsministeriums. Sie führte im konkreten Fall zu Tage, dass von 1.620 Regelungen weniger als 10% für die die Wirtschaft belastenden Informationskosten verantwortlich sind. Von den 430 Mio. Euro jährlichen Gesamtkosten kamen 80% gerade einmal aus 9 Informationspflichten zustande. Da lohnt es sich die Regelungen genau unter die Lupe zu nehmen, um zu ermitteln wie viel der Staat wirklich wissen muss, um die Unternehmen nicht unverhältnismäßig zu belasten.


Die Große-Koalition hat per Kabinettsbeschluss vom 25. April 2006 sich der Idee angenommen und per Gesetz im Juni 2006 einen Normenkontrollrat als unabhängiges Kontroll- und Beratungsgremium geschaffen, das beim Kanzleramt angesiedelt ist. Des Weiteren wurde ein auf Deutschland angepasstes Kosten-Modell eingeführt sowie weitere Maßnahmen ergriffen, um einen „größeren Freiraum für die Wirtschaft“ und eine „höhere Akzeptanz“ der Bürgerinnen und Bürger für staatliches Handeln anzustreben. Ein erster Schritt ist also getan. Es bedarf jedoch - wie aufgezeigt - weiterer Kraftanstrengungen.


Neben den wirtschaftlichen Gesichtspunkten geht es nämlich auch um eine bessere Zusammenwirkung von öffentlicher Verwaltung einerseits und Bürger sowie Unternehmen andererseits, sowie einer besseren internen wie externen Kommunikation. Schwerpunktfelder wurden u.a. bei Betriebsprüfungen, Bau- und Meldeverfahren als auch bei Statistikerfordernissen identifiziert. In dem Bestreben nach Liberalisierung des Verwaltungsdenkens wird der Bundesregierung Inkonsequenz vorgeworfen.


Experten der Bertelsmann-Stiftung fordern einen unbeschränkten Zugang zu Informationen der Verwaltung, der „Verfolgung von Partikularinteressen und qualitativ schlechtem Verwaltungshandeln vorbeugt sowie dem Bürger die Gewissheit gibt, an allen öffentlichen Belangen teilhaben zu können.“ Wirksam ist ein solcher Zugang der Bürger zu Informationen nur dann, wenn „die Ausnahmetatbestände auf unabdingbare Sicherheits- und Datenschutzbelange beschränkt bleiben und die Kostenbarriere so gering wie möglich gehalten wird.“ Das seit Januar 2006 geltende Informationsfreiheitsgesetz trage dem nur mangelhaft Rechnung, da noch zu viele Ausnahmen existieren und die Anwendung in der Praxis wohl restriktiv gehandhabt werden wird.


Die vielseitig aufgeworfene Gefahr der Überlastung öffentlicher Stellen mit Auskunftsbegehren existiert den Experten zufolge nicht, wie die nationale und internationale Erfahrung zeigt. Dies wird sowohl als ein Beweis dafür gesehen, dass die Bürger mit ihrer eigenen Zeit sparsam umgehen, als auch für die präventive Wirkung von Transparenz.


Die genauesten Modelle und striktesten Kontrollen scheitern jedoch dann, wenn sie die Köpfe derer nicht erreicht, die für die Umsetzung verantwortlich zeichnen. Bürokratieabbau muss gelebt werden! Wirksames Regulierungscontrolling beginnt schon auf der untersten Verwaltungsebene. Den motivierten und qualifizierten Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes muss jenes positive Leitbild daher ins Blut übergehen. Doch, mit der Sprengung mancher Ketten und der zurück gewonnen Freiheit, ist es allerdings auch an den Bürgern und der Wirtschaft gelegen aktiv Mitverantwortung zu übernehmen. Ideologische Polemik als auch die Forderung von Unmöglichem gehört aus der öffentlichen Gesprächskultur verbannt.


Zu dem starken politischen Willen auf allen Ebenen, wie der Bundespräsident forderte, gehört also auch unser aller Beitrag, auf dem Weg zu einem durchsetzungsfähigeren und schlankeren Staat.

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