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Beck vs. Titanic III

Der Streit um die Beurteilung des Rechtsstreites von Kurt Beck gegen das Satiremagazin Titanic erhitzt auch unter angehenden Rechtswissenschaftlern der Universität Freiburg die Gemüter bei Temperaturen jenseits der 35 Grad Celsius, die Freiburg seit mehreren Tagen ertragen darf.

"Das Magazincover schon aus dem Schutzbereich der Kunstfreiheit nach Art. 5 III herauszunehmen ist zwar vertretbar, würde ich aber nicht tun. ", hieß es dazu von einem Übungsleiter. "Ob die Satire nun unter die Kunstfreiheit oder die Meinungsfreiheit fällt wäre beides gut vertretbar."

Die Frage ob je nachdem, welches Grundrecht man für einschlägig erachtet, verschiedene materielle Maßstäbe gelten, wäre seinerseits zu verneinen. Entweder (bei Art. 5 III 1 GG) man wählt die Lösung über verfassungsimmanente Schranken, hier das Allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 I i.V.m. 1 I GG, oder (bei Art. 5 I 1 GG) man wählt die Lösung über das "Recht der persönlichen Ehre" (nach h.M. wohl: über die "allgemeinen Gesetze").

Nachfolgend jedoch einige Zitate aus einer BVerfG-Entscheidung (übrigens auch mit der Titanic als Prozesspartei) von 1992, die eher für eine medienfreundliche Wegrichtung, wie ich sie vertrete, sprechen. Das Hauptargument hierfür wäre das Verkennen des satirischen Charakters des Titelbilds durch das LG Hamburg.

Wer Lust hat diese im Original nachzulesen sei dazu folgende Literatur empfohlen:

- BVerfGE, NJW 1992, 2073 ff.
- oder auch im Original: BVerfG, Beschluß vom 25.03.1992 - 1 BvR 514/90
- dazu ablehnend: Kiesel, Die Liquidierung des Ehrenschutzes durch das BVerfG, NVwZ, 1129, 1135f.
- LG Berlin: Geldentschädigung wegen Schmähkritik - Markwort/Titanic, NJW 1997, 1371ff.

Sachverhaltszusammenfassung:

Mitarbeiter des Satiremagazins hatten in ihrer ständigen Rubrik "Die sieben peinlichsten Persönlichkeiten" einen Reserveoffizier der Bundeswehr, der trotz einer unfallbedingten Querschnittlähmung auf eigenen Wunsch als Übersetzer an einer Wehrübung teilgenommen hatte, u. a. als "geb. (geborener) Mörder" und später in ihren "Briefen an die Leser" als "Krüppel" bezeichnet sowie Zweifel an seiner geistigen Intaktheit geäußert. Die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes für diese Verunglimpfungen hielt das BVerfG nur hinsichtlich der zweiten Bemerkung für gerechtfertigt. In Bezug auf die (schwerwiegendere) erste Äußerung stellte es fest, die Wertung der Fachgerichte verfehle mit der isolierten Betrachtung dieses Zusatzes zum Namen des Beleidigten den Aussagegehalt des Artikels, weil sie bei dessen Deutung keine "der Satire" gerecht werdenden Maßstäbe angelegt und den Gesamtzusammenhang außer acht gelassen habe.

Gleiches würde hier eingreifen: Das Foto Becks samt Bildunterschrift: "Problembär außer Rand und Band - Knallt die Bestie ab!" isoliert betrachtet, würde eine Ehrverletzung einschlägig sein. Dies hält aber der Gesamtbetrachtung mit an "der Satire" gerecht werdenden Maßstäbe allerdings nicht stand.

Das BVerfG geht hier sogar noch weiter und lässt es bereits dahingestellt, ob der Beitrag nun ein Kunstwerk gem. Art. 5 III sei, oder doch der Meinungsfreiheit des Art. 5 I mit den Schranken des Art. 5 II unterliege. Bei dem Beck-Cover würde ich das der Satire wesenseigene Merkmal der Übertreibung bejahen. Denn wer fordert schon ernsthaft wegen des Abschusses eines Bären den Abschuss eines wie einen Bären aussehenden SPD-Vorsitzenden?

Hier die BVerfG-Ausführungen zu dem älteren Fall von 1992 (in kursiver Schrift) mit persönlichen Anmerkungen meinerseits (normale Schrift):

I. 1. Prüfungsmaßstab hinsichtlich beider Presseartikel ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit.

a) Der Beitrag in der März-Ausgabe 1988 ist allerdings durch satirische Verfremdung geprägt. Seine satirischen Elemente heben ihn jedoch noch nicht in den Rang eines durch Art. 5 III 1 GG geschützten Kunstwerks. Satire kann Kunst sein; nicht jede Satire ist jedoch Kunst. Das ihr wesenseigene Merkmal, mit Verfremdungen, Verzerrungen und Übertreibungen zu arbeiten, kann ohne weiteres auch ein Mittel der einfachen Meinungsäußerung oder der durch Massenmedien sein. Allerdings muß auch bei der Anwendung dieser Grundrechte stets der satirische Charakter der einzelnen Meinungskundgabe berücksichtigt werden. Auch Erklärungen, die lediglich unter Art. 5 I GG fallen, darf kein Inhalt unterschoben werden, den ihnen ihr Urheber erkennbar nicht beilegen wollte; das gilt besonders bei satirischer oder glossierender Meinungsäußerung.

Wo bei satirisch gemeinten Äußerungen die Grenze zwischen der Meinungsfreiheit nach Art. 5 I 1 GG und der Kunstfreiheit nach Art. 5 III 1 GG verläuft und ob eine satirische Äußerung im Einzelfall im Schutzbereich beider Grundrechte liegen kann, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. auch BVerfGE 68, 226 (233) = NJW 1985, 787). Selbst wenn auf den Märzbeitrag nur das nicht vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht aus Art. 5 I GG angewendet wird, hält das angegriffene Urteil der verfassungsrechtlichen Überprüfung insoweit nicht stand.[...]
Die Satire muß ihres in Wort und Bild gewählten Gewandes entkleidet werden, um ihren eigentlichen Inhalt erkennen zu lassen. Ihr Aussagekern und ihre Einkleidung sind sodann gesondert daraufhin zu überprüfen, ob sie eine Kundgabe der Mißachtung der karikierten Person enthalten (vgl. BVerfGE 75, 369 (377 f.) = NJW 1987, 2661). Bereits diesen Ansatzpunkt hat das OLG verfehlt, wenn es ausführt, die Wirklichkeit werde gerade nicht - nachahmend - indirekt, sondern direkt und gezielt angesprochen.[...]

Nachahmend indirekt und in der Form deutlich übersteigert ist die Aussage: "Knallt die Bestie ab!" schon deswegen, weil dies von verschiedensten Vertretern wie einigen Bauernvertretern oder selbst einigen Umweltverbänden der Sache nach im Falle des Bären tatsächlich öffentlich gefordert wurde. Jenes würde durch eine Nichtbeachtung des Gesamtzusammenhangs im übertragenen Sinne vollends verkannt.

Das Urteil [Anmerk.: des OLG] wird in diesem Punkt auch nicht von der Hilfserwägung getragen, wonach eine unerlaubte, schwere, rechtswidrige Persönlichkeitsrechtsverletzung selbst dann vorliege, wenn man die Veröffentlichung als Satire ansehe. Hierin kommt wiederum die unzureichende Interpretation der Satire zum Ausdruck, die die persönliche Verunglimpfung des Kl. in den Vordergrund stellt, indessen kein Auge dafür hat, daß der Zusatz hinter dem Namen des Kl. „geb. Mörder" im Gesamtzusammenhang des Artikels im übertragenen Sinne zu verstehen ist.


Das Argument, selbst bei Art. 5 III würde dann eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts greifen, würde demnach wohl wegen des zu eng gefassten Satrirebegriffs wohl keinen Bestand haben.

Selbst wenn es so wäre, schränkt ein weiterer Leitsatz dazu vom LG Berlin (LG Berlin: Geldentschädigung wegen Schmähkritik - Markwort/Titanic, NJW 1997, 1371ff.) eine mögliche Ehrverletzung durch Satire in ihrer Tragweite noch weiter ein:

Bei der im Einzelfall erforderlichen Abwägung zwischen der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 I GG und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Art. 1 I, 2 I GG ist zu beachten, dass in Anbetracht der heutigen Reizüberflutung auch starke Formulierungen - scharfe und abwertende Kritik, Ironie und übersteigerte Polemik - zulässig sein können, wenn der Äußernde damit keine eigennützigen Ziele verfolgt und nicht lediglich die betroffene Person herabsetzen, sondern sich im geistigen Meinungskampf in der Öffentlichkeit Gehör verschaffen will.


Warum wird die Titanic Kurt Beck und nicht Helmut Kohl oder eine vergleichbar schmächtige Persönlichkeit samt gleicher Bildunterschrift verwendet haben? Das öffentliche Gehör war jedenfalls auch Dank der Unterlassungsverfügung Becks der Titanic sicher. Eigennützige Ziele Herrn Beck mutwillig Schaden zufügen zu wollen, erkenne ich dagegen nicht und werden in dem Interview der Jungen Welt vom Chefredakteur der Titanic bestritten:

Wir wollten einzig und allein auf das ungeheure, brutale, grausame Vorgehen der bayerischen Killer und Bärenverachter hinweisen, die Bruno zum Problembären erklärten und ihn wie eine Bestie haben abknallen lassen, nur weil er ein paar Schafe verspeist hat. Süß war der doch trotzdem. Diese Sauerei mußte skandalisiert werden: mit einem absolut schockierenden Titel, einem, der alle Bärenhalter zum Heulen bringt. Und als wir dann bei dpa das Suchwort »lustiger Brummbär« eingaben, erschien zuerst ein Eintrag zu Beck, und so landete er auf dem Titelblatt.


Zusammenfassend also: Egal, ob die Satire nun unter die Kunstfreiheit oder die Meinungsfreiheit fällt wäre bei der Prüfung (bei Art. 5 III 1 GG) über verfassungsimmanente Schranken zu sagen, welche hier das Allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG wären, dass kein zu eng gefasster Satrirebegriff verwendet werden darf. Der Satrirecharakter ergibt sich aus der Verbindung der Persönlichkeit des Kurt Beck mit einem Bären und dem Kontext darüber hinaus. Bei der über Art. 5 I 1 GG gewählten Lösung über das "Recht der persönlichen Ehre" bleibt zu beachten, dass auch starke Formulierungen zulässig sein können, wenn sich durch sie im geistigen Meinungskampf Gehör verschafft werden soll. Da unter der Kunstfreiheit die höheren Anforderungen bestehen, wäre es vorzugswürdig die Satire unter eben jener heranzuziehen.

Ob die Titanic weitere Rechtsmittel einlegt, oder aufgrund der Tatsache, dass wohl nun die gesamte Auflage verkauft sein dürfte überhaupt kein Bedarf mehr an einer Klage besteht, ist zur Zeit noch nicht bekannt.

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