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Wenn der Staat sich selbst schützt: Steinmeiers Rede zum 9. November 2025

Die selektive Wehrhaftigkeit: Wie der Staat die Demokratie aushöhlt, um sich selbst zu schützen

I. Der nackte Kaiser: Eine Rede als Offenbarung

Am 9. November 2025 beschwört der Bundespräsident die „wehrhafte Demokratie“. Seine Rede ist ein rhetorisches Kunststück, das die Schicksalstage der deutschen Geschichte – 1918, 1938, 1989 – zu einem eindringlichen Appell verwebt: Wehret den Anfängen, schützt die Verfassung. Doch hinter der Fassade historischer Mahnung verbirgt sich ein politisches Manifest. Hier wird nicht die Demokratie verteidigt, sondern ein Machtnarrativ zementiert. Hier wird der Rechtsstaat nicht geschützt, sondern als Waffe gegen politische Konkurrenz instrumentalisiert.

Die Rede ist ein Lehrstück jener Doppelmoral, die das Vertrauen in staatliche Institutionen nachhaltiger zerstört als jede Opposition. Sie markiert Millionen Bürger als Verfassungsfeinde, während sie die eigenen Skandale, die eigenen Grundrechtsverletzungen und das eigene systemische Versagen mit keinem Wort erwähnt. Sie offenbart eine Verfassungswirklichkeit, in der die Justiz ihre Kontrollfunktion aufgegeben und sich zum Vollzugsorgan exekutiver Willkür hat degradieren lassen. Es ist Zeit für eine nüchterne Analyse – und für die Frage, ob nicht gerade jene, die sich als Hüter der Demokratie inszenieren, zu ihrer größten Gefahr geworden sind.

II. Die Konstruktion der Bedrohung: Geschichte als Waffe, Opposition als Feind

Der Bundespräsident konstruiert eine Analogie zwischen dem Scheitern Weimars und der heutigen Bundesrepublik. Diese Gleichsetzung ist historisch unzulässig und politisch manipulativ. Die Weimarer Republik scheiterte an Versailles, an paramilitärischer Gewalt, an politischer Instabilität und einer Weltwirtschaftskrise. Die Bundesrepublik 2025 ist eine gefestigte Demokratie, deren größte Bedrohung nicht von der Opposition ausgeht, sondern von den Institutionen selbst.

Wenn der Präsident behauptet, Freiheit und Demokratie seien „nie so angegriffen“ gewesen wie heute, verschweigt er, von wem die Angriffe ausgingen. Die größten Freiheitseinschränkungen der Nachkriegsgeschichte erfolgten in den Jahren 2020 bis 2022 durch die Regierung selbst. Versammlungs-, Berufs- und Bewegungsfreiheit wurden kassiert, die körperliche Unversehrtheit durch eine einrichtungsbezogene Impfpflicht angetastet. Millionen Bürger wurden von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen. Und der Bundespräsident, der damals applaudierte und Kritiker als „Covidioten“ diffamieren ließ, warnt heute vor Angriffen auf die Demokratie. Das ist keine Glaubwürdigkeit. Das ist eine Verhöhnung all diejeniger, die sich dieser Willkürhandlungen ausgesetzt sahen.

III. Das Schweigen der Justiz: Wenn Kontrolle zur Legitimation verkommt

Die Gewaltenteilung, garantiert in Artikel 20 des Grundgesetzes, hat in der größten Grundrechtskrise der Republik versagt. Das Bundesverfassungsgericht, konzipiert als Hüter der Grundrechte, agierte als Legitimationsagentur der Exekutive. Eilanträge gegen Lockdowns und Ausgangssperren wurden reihenweise abgelehnt, Hauptsacheverfahren verschleppt, bis die Maßnahmen längst beendet waren. Wissenschaftliche Behauptungen des politisch weisungsgebundenen Robert Koch-Instituts wurden ungeprüft übernommen.

Dieses Versagen ist ein Systembruch. Es setzte sich fort, als ein Familienrichter, der die Maskenpflicht an Schulen aussetzte, wegen Rechtsbeugung verfolgt und rechtskräftig verurteilt wurde. Das Signal an die Richterschaft war eindeutig: Wer gegen die Regierungslinie urteilt, wird strafrechtlich verfolgt. Das ist das Ende der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 GG). Der Bundespräsident, der zu diesem Angriff auf die Gewaltenteilung schwieg, hat jedes Recht verwirkt, sich als Hüter des Rechtsstaats aufzuspielen.

IV. Meinungsfreiheit unter Kuratel: Die Errichtung eines Wahrheitsregimes

Die Rede fordert zu Recht die Strafverfolgung von Volksverhetzung. Doch sie verschweigt die schleichende Etablierung eines Zensurregimes, das weit über die Grenzen des Strafrechts hinausgeht und Artikel 5 des Grundgesetzes aushöhlt. Gesetze wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz und der Digital Services Act haben die Rechtsdurchsetzung an private Konzerne und regierungsnahe NGOs ausgelagert. Nicht Richter entscheiden über Rechtswidrigkeit, sondern Compliance-Abteilungen und „vertrauenswürdige Hinweisgeber“.

Öffentlich finanzierte „Faktenchecker“ definieren, was als „Desinformation“ gilt. Doch wer entscheidet, was wahr ist? In der Corona-Krise lautete die Antwort: die Regierung. Die RKI-Files belegen heute, dass Risikobewertungen nach politischen, nicht nach wissenschaftlichen Kriterien erfolgten. Wer dies damals behauptete, wurde zensiert. Eine Demokratie, die nur noch regierungskonforme Meinungen zulässt und unliebsame Kritik als „Hass“, „Hetze“ oder „Lüge“ unterdrückt, ist auf dem Weg in den autoritären Staat.

V. Der Staat als Gegner: Radikalenerlass 2.0 und die Entrechtung der Wähler

Der Bundespräsident fordert den Ausschluss von „Verfassungsfeinden“ aus dem öffentlichen Dienst. Was als Lehre aus Weimar daherkommt, ist in der Praxis die Wiederauferstehung des Radikalenerlasses. Beamte werden nicht mehr nach ihrem konkreten Verhalten beurteilt, sondern pauschal aufgrund ihrer Mitgliedschaft in einer legalen Oppositionspartei unter Generalverdacht gestellt.

Ein Geheimdienst, der der Exekutive unterstellt ist, liefert die Begründungen, die eine willfährige Justiz teils unreflektiert übernimmt. Der Verfassungsschutz wird so vom Beobachter zum politischen Akteur, der die Opposition bekämpft. Dies gipfelt in der Debatte um ein Parteienverbot und der politischen Praxis der „Brandmauer“. Wenn eine Partei, die 20 bis 30 Prozent der Stimmen erhält, von vornherein von jeder Regierungsbeteiligung ausgeschlossen wird, werden ihre Wähler faktisch entrechtet. Ihre Stimme zählt nicht. Das ist die Aushöhlung des demokratischen Prinzips im Namen seiner Verteidigung.

VI. Die Skandale, die der Präsident verschweigt

Die Rede mahnt Rechtsstaatlichkeit an, ignoriert aber die größten Rechtsbrüche der jüngeren Vergangenheit, für die die eigene politische Klasse verantwortlich ist:

Cum-Ex/Cum-Cum: Der größte Steuerraub der deutschen Geschichte mit aktiver politischer Vertuschung und kollektivem Gedächtnisverlust in den höchsten Regierungsämtern. Die zuständige Oberstaatsanwältin Brorhilker schied lieber unter Verlust ihrer Pensionsansprüche aus dem Staatsdienst aus, als weiter gegen systematische Behinderungen aus der Politik und Verwaltung abzuarbeiten. Das Verhalten spricht Bände über den Zustand dieses Staates.

Corona-Aufarbeitung: Die politische Einflussnahme auf das RKI wurde durch die RKI-Files belegt. Weiterhin gibt es milliardenschwere, bis heute geheime Impfstoffverträge und die Weigerung, die massiven Grundrechtseingriffe parlamentarisch aufzuarbeiten. Allein zu einer Enquete-Kommission hat man sich überreden lassen. Das ist viel zu wenig! Auch hier fürchten die etablierten Parteien die politische wie juristische Aufarbeitung.

Korruption und Versagen: Von Maskendeals über das Totalversagen der Finanzaufsicht im Wirecard-Skandal bis hin zur tödlichen Inkompetenz bei der Ahrtal-Flut – die Verantwortlichen bleiben unbehelligt. Es gab eine Zeit, wo politisches Versagen mit Rücktritten, Neuwahlen oder auch strafrechtlichen Ermittlungen persönliche Konsequenzen gab. Heutzutage bleiben diese allzu häufig aus.

Der Bundespräsident schweigt zu all dem Staatsversagen und dass es eine neue Leistungsmentalität in Staat und Politik braucht, um eine bessere Politik zu betreiben und umzusetzen. Seine „wehrhafte Demokratie“ richtet sich nur gegen die Opposition, niemals gegen die Mächtigen im eigenen Lager, die mit ihren Fehlleistungen die viel wirkungsvolleren Delegitimierer des Staates sind und dafür zur Rechenschaft gezogen gehören.

VII. Die unbequeme Wahrheit des Antisemitismus

Die Rede beklagt den wachsenden Antisemitismus seit dem 7. Oktober 2023. Doch ihre Analyse ist unehrlich. Sie verteilt die Schuld gleichmäßig auf „rechts, links, die Mitte und muslimische Einwanderer“, um die Hauptquelle des aktuellen Judenhasses nicht klar benennen zu müssen: den importierten Antisemitismus aus islamisch geprägten Gesellschaften. Während auf deutschen Straßen zur Vernichtung Israels aufgerufen wird, blickt die Politik lieber auf die altbekannte Gefahr von rechts. Das ist keine Wehrhaftigkeit. Das ist Feigheit vor der Realität.

VIII. Fazit: Die Demokratie muss sich gegen ihre falschen Freunde behaupten

Die Rede des Bundespräsidenten ist ein Dokument monumentaler Heuchelei. Sie beschwört den Rechtsstaat, während die Regierung ihn aushöhlt. Sie warnt vor Demokratiefeinden, während sie selbst Wähler entrechtet. Sie fordert Grundrechtsschutz, während die größten Grundrechtsverletzungen der Geschichte folgenlos bleiben.

Die „wehrhafte Demokratie“ ist damit zur Waffe der Mächtigen gegen ihre Kritiker verkommen. Der Verfassungsschutz wird instrumentalisiert, die Justiz ist unterwürfig, die Meinungsfreiheit wird erodiert und Skandale werden ausgesessen. Diese Doppelmoral zerstört das Vertrauen in den Staat nachhaltiger, als es jede Oppositionspartei je könnte und sind ein Armutszeugnis für eine politische Klasse, die sich auf Kosten der Bürger üppig alimentieren lässt, aber andererseits den Bürger und dessen Nöte verachtet.

Die größte Gefahr für die Demokratie geht nicht von denen aus, die das System kritisieren. Sie geht von jenen aus, die im Namen der Demokratie ihre Kritiker mundtot machen, ihre Konkurrenten ausgrenzen und ihre eigenen Verfehlungen vertuschen. Der Kaiser ist nackt. Die Wiederherstellung des Staats beginnt damit, dies offen auszusprechen. Es braucht eine rückhaltlose Aufarbeitung der Corona-Jahre, ein Ende der Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes und eine Justiz, die ihre Unabhängigkeit wiederfindet und sich traut Parlament und Regierung wirksam zu kontrollieren. Die Demokratie braucht Wehrhaftigkeit – aber nicht gegen ihre Bürger, sondern gegen Korruption, Machtmissbrauch und die Arroganz der Macht.

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