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Wie das Grundgesetz den Einsatz moderner Kommunikationstechnologien im Rechtswesen erfordert

Das Grundgesetz garantiert in Art. 19 Abs. 4 den effektiven Rechtsschutz für alle Bürger, die durch die öffentliche Gewalt in ihren Rechten verletzt werden. Dies bedeutet, dass jeder Betroffene einen Zugang zu einem unabhängigen und fairen Gericht haben muss, um seine Rechte geltend zu machen und eine wirksame Abhilfe zu erhalten. Doch wie kann dieser Zugang in Zeiten der digitalen Transformation und der globalen Vernetzung gewährleistet werden? Muss der Gesetzgeber nicht auch die mit der Zeit aufkommenden Kommunikationstechnologien nutzen, um den Rechtsschutz zu verbessern und zu beschleunigen?

1. Elektronische Kommunikationswege

Die elektronische Kommunikation zwischen den Beteiligten und den Gerichten wäre ein wesentlicher Aspekt der Digitalisierung des Rechtswesens. Sie ermöglicht eine schnellere, einfachere und kostengünstigere Übermittlung von Schriftsätzen, Beweismitteln, Beschlüssen und Urteilen. Sie reduziert den Papierverbrauch und den Platzbedarf für die Aktenführung. Sie erleichtert auch die Archivierung, die Suche und den Zugriff auf die Dokumente. Während Anwälte mittlerweile verpflichtet sind - soweit der Zugang durch das Gericht eröffnet ist - den elektronischen Rechtsverkehr zu nutzen, steht dem nicht-anwaltlich vertretenem Bürger auch im Jahr 2024 allein der klassische Weg offen, entweder per Brief oder per FAX mit dem Gericht verfahrenserheblich zu kommunizieren. Auf dem Papier besteht zwar die Möglichkeit zur elektronischen Kommunikation, da man hier aber unpraktische hohe Anforderungen an die zu verwendenden Technologien gestellt hat, die keinerlei Verbreitung gefunden haben (z.B. De-Mail), ist das Privileg der elektronischen Gerichtskommunikation bislang vorwiegenden den Anwälten vorbehalten. Und dass selbst vor dem höchsten deutschen Gericht, dem Bundesverfassungsgericht, noch nicht einmal der elektronische Rechtsverkehr eröffnet ist und trotz dreier geschalteter Faxnummern regelmäßig nicht erreichbar ist, dürfte ein Armutszeugnis für den Justizstandort Deutschland sein. Soweit, so unzureichend.

2. Die Online-Verhandlung als Alternative zur Präsenzverhandlung

Ein weiterer Aspekt der Nutzung moderner Kommunikationstechnologien im Rechtswesen ist die Online-Verhandlung als Alternative zur Präsenzverhandlung. Dies bezeichnet die Durchführung der mündlichen Verhandlung im Wege der Videokonferenz, bei der die Prozessbeteiligten nicht persönlich im Gerichtssaal anwesend sind, sondern über das Internet miteinander kommunizieren. Sie hilft dabei die Reisezeiten und -kosten zu sparen, die Flexibilität und die Verfügbarkeit für Verhandlungen zu erhöhen und die Verfahrensdauer zu verkürzen.

Die Online-Verhandlung ist in der Zivilprozessordnung (ZPO) in § 128a geregelt. Die Vorschrift ist in ihrem Wortlaut klar und durch ihre drei Absätze gut strukturiert. Der 1. Absatz richtet sich an die Parteien, ihre Bevollmächtigten und Beistände, welchen das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen gestatten kann, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Der 2. Absatz richtet sich an Beweispersonen, also Zeugen, Sachverständige und Parteien bei förmlicher Parteivernehmung, welchen das Gericht gestatten kann, sich während einer Vernehmung an einem anderen Ort aufhalten zu können, betrifft also die Form der Beweisaufnahme. Damit ermöglichen die beiden ersten Absätze des § 128a ZPO, dass die Beteiligten sich an einem anderen Ort aufhalten; der Sitzungsort des Gerichts (Terminsort nach § 219 Abs. 1 ZPO) bleibt jedoch unverändert, sodass sich die Richter des Spruchkörpers nach dem aktuellen Gesetzeswortlaut im Sitzungssaal befinden müssen. Der 3. Absatz der Vorschrift regelt, dass die Übertragungen von Bild und Ton nicht aufgezeichnet werden und Entscheidungen nach § 128a Abs. 1 S. 1 ZPO und § 128a Abs. 2 S. 1 ZPO unanfechtbar sind, was auch einer der Gründe für Schwierigkeiten in der Praxis ist. Die Vorschrift ist zwar bereits seit dem 1.1.2002 in der ZPO, ihre Anwendung erlebte jedoch erst durch die COVID-19-Pandemie ihren Durchbruch vor den Gerichten während sie zuvor kaum genutzt wurde. Trotz zahlreicher überzeugender Argumente und steigendem Zuspruch in der Rechtspflege sind die Gerichte zuweilen immer noch zurückhaltend bei der Anwendung des § 128a ZPO. Das ambivalente Verhältnis zur Videoverhandlung spiegelt sich laut dem Deutschen Anwaltverein (DAV) im Begründungsumfang für die Ablehnung des Antrags nach § 128a ZPO wider: "Während einige Gerichte eine umfangreiche Abwägung des Für und Wider der Videoverhandlung im konkreten Fall treffen, beschränken sich andere Gerichte auf eine klauselartige Ablehnung. Hinzu kommt eine bisher nicht ausreichend flächendeckende Ausstattung der Sitzungssäle mit der notwendigen Technik." Derzeit gibt es auch keinen Rechtsanspruch der Parteien auf Durchführung der Videoverhandlung. Selbst bei einem übereinstimmenden Antrag beider Parteien besteht ein solchern nicht, sondern steht im Ermessen des Gerichts. Doch hier ist glücklicherweise Abhilfe in Sicht, ein Referentenentwurf zur Modernisierung von § 128a ZPO schränkt bei übereinstimmender Erklärung der Parteien das Ermessen des Gerichts ein, indem eine Verhandlung in dem Fall der Regelfall sein soll. Das bedeutet, dass in der Regel eine Videoverhandlung in jenem Fall angeordnet werden muss. Will das Gericht dennoch die Videoverhandlung ablehnen, muss es einen Beschluss fassen und begründen. Dieser kann dann noch durch die sofortige Beschwerde angegriffen werden.

Die Online-Verhandlung bietet viele Möglichkeiten, wie die Erleichterung der Terminfindung, die Verringerung der Ausfallzeiten, die Erhöhung der Effektivität und die Verbesserung der Verständigung. Sie erfordert aber u.a. auch das Vorhandensein von entsprechender Technik, eine Vorbereitung und Wartung der Technik sowie eine Einhaltung von Kommunikationsregeln.

3. Muss der Gesetzgeber mit der Zeit gehen?

Schlagen wir den Bogen zurück zu Art. 19 Abs. 4 GG. Die hier gegebene Antwort lautet: Ja, der Gesetzgeber muss mit der Zeit gehen. Denn die dynamische Entwicklungen in der Gesellschaft und die Fortentwicklung von Kommunikationstechnologien erfordern eine Interpreation des Grundgesetzes, welche den Gesetzgeber dazu zwingen, den Zugang zum Recht an die gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen anzupassen. Wichtigstes Merkmal für eine solche Verpflichtung ist das Wort "effektiv" - was früher einmal mangels entsprechender technischer Möglichkeiten noch "effektiv" war, kann heute bereits eine unzumutbare Schikane darstellen. So tragen steigende Portokosten oder die schlechte Verfügbarkeit der gerichtlichen Faxgeräte oder auch das Alter jener Technologie und der absinkenden Verfügbarkeit entsprechender Geräte auf dem Markt, dazu bei, dass die Hürden sich für den Rechtsschutz suchenden Bürger weiter auftürmen und den Zugang zum Recht unnötig erschweren. Durch den Einsatz zeitgemäßer Technik wären die angesprochenen Hindernisse jedenfalls vermeidbar.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung immer wieder betont, dass die Grundrechte nicht nur Abwehrrechte gegen den Staat, sondern auch Schutz- und Teilhaberechte der Bürger sind, die eine positive Verpflichtung des Staates zur Gewährleistung und Förderung ihrer Ausübung begründen. Dies gilt insbesondere für das Recht auf effektiven Rechtsschutz, das eine zentrale Bedeutung für die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie hat. Der Gesetzgeber ist daher verpflichtet, die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen für den Zugang zum Gericht so zu gestalten, dass sie den Anforderungen der Zeit entsprechen und den Betroffenen eine angemessene und zeitnahe Rechtsverfolgung ermöglichen. Dazu gehört auch, dass er die Möglichkeiten der modernen Kommunikationstechnologien nutzt, um den Rechtsschutz zu erleichtern und zu beschleunigen. Dies kann beispielsweise durch die Einführung oder Erweiterung von elektronischen Kommunikationswegen, Online-Verfahren, Video- oder Telefonkonferenzen, digitalen Akten oder künstlicher Intelligenz geschehen. Dabei muss der Gesetzgeber jedoch stets die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, der Gewaltenteilung, der Wahrung der Persönlichkeitsrechte und des Datenschutzes beachten und sicherstellen, dass die Qualität und die Fairness des Rechtsschutzes nicht beeinträchtigt werden.

Der Einsatz moderner Kommunikationstechnologien im Rechtswesen ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, um den Rechtsschutz zu verbessern und zu beschleunigen. Er dient dazu, die Effizienz und die Transparenz der Justiz zu erhöhen, die Kosten und die Belastungen für die Beteiligten zu senken, die Erreichbarkeit und die Teilhabe der Bürger zu fördern und die Rechtssicherheit zu stärken. Er ist daher nicht nur eine Option, sondern eine Notwendigkeit, um den verfassungsrechtlichen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz zu erfüllen und zu gewährleisten.

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