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Neue Wege in der Juristenausbildung

Reformdiskussionen kamen und gingen. Im Großen und Ganzen unbescholten größerer Paradigmenwechsel hat das Jurastudium sämtliche Diskussionen unbeschadet überlebt. Wie zuvor unseren Ur-Urgroßvätern (freilich unter anderen Bedingungen), bringt man dem Grunde nach auch heutigen Studenten den Stoff mit Vorlesungen und Fallbesprechungen ("Übungen") näher.

Auch das Ausbildungssystem ist je nach Blickwinkel "altbewährt" oder "überholt". Ziel ist der "Volljurist", der in allen Rechtsgebieten einen soliden Überblick besitzt und erst nach dem Überstehen zweier Staatsexamina die "Befähigung zum Richteramt" erhält. Wer die nicht besitzt, geht ohne Abschluss nach fünf plus x-Jahren von der Uni.

Auch dass nur ein Bruchteil der späteren Absolventen in den Staatsdienst geht, wird nur am Rande bislang berücksichtigt. Kern dessen, was in den Examina verlangt wird, ist die Erstellung eines Rechtsgutachtens. Das muss man sich wie ein starres Korsett vorstellen, das im eigenen Sprachstil, den sog. Gutachtenstil, niedergelegt wird. Man wirft (Rechts-)Fragen auf, die Stück für Stück nach mehr oder weniger klaren Regeln abgearbeitet werden ("Kann X Herausgabe des Buches von Y verlangen? Ein solcher Anspruch könnte sich aus § 985 BGB ergeben. Dazu müsste...").

Die Frage, wie man erfolgreich eine Anwaltskanzlei betreibt, wird nirgendwo an der Uni beantwortet. Zumindest nicht in juristischen Vorlesungen. Simulationen von Mandantengesprächen oder des Auftretens vor Gericht? Ebenso Fehlanzeige. Das Erarbeiten des Sachverhaltes, also was sich genau zugetragen hat? Das kommt erst im Referendariat, wird also zum 2. Staatsexamen relevant, dann aber richtig.

Diese skizzierten schwarzen Flecken mag man alle unter dem Begriff "mangelhafter Praxisbezug" subsumieren und beklagen. Der Gegenbegriff dazu lautet jedoch "wissenschaftlich fundierte Ausbildung". Und über das genaue (und richtige) Verhältnis zwischen beiden tobt der grundlegende Streit, der bereits seit vielen Jahrzehnten quer durch die Profession geführt wird.
Möchte man vordergründig einen Rechtsanwender, einen Rechtswissenschaftler oder eine Mischung aus beidem ausbilden? Die Universität neigt dazu möglichst einen Wissenschaftler heran zu ziehen, der dazu befähigt werden soll die Dogmatik zu verstehen und zu hinterfragen. Im Staatsexamen werden allerdings handfeste Rechtskenntnisse in Form der Fallbearbeitung verlangt, nicht die letzten dogmatischen Feinheiten. Die Universität lehrt größtenteils an den Bedürfnissen der Studenten vorbei und muss zusätzliche Ressourcen dafür aufbringen, damit die Kandidaten zur Examensreife gelangen. Die Qualität vom universitären Examensvorbereitungsprogramm schwankt je nach Universität von "als Ergänzung ganz brauchbar" bis "völlig ungeeignet".

Hier hat sich schon vor vielen Jahrzehnten ein Markt gebildet, den die kommerziellen Repetitorien erfolgreich erschlossen haben. Jene versprechen den nötigen Stoff mundgerecht in 12 Monaten aufzubereiten, so dass man (angeblich) bestens zum Examen vorbereitet wird. Der Service kostet jedoch weit über 1200 € plus Lehrmaterial. Dafür erhält man dann ein zugeschnittenes, komprimiertes Programm, dass wie Schule mit sanftem Druck geführt wird. Für ca. 90% des Jahrgangs ein verlockendes Angebot und für viele sogar eine lebensprägende Erinnerung.

Kürzlich hat der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft nun ein Positionspapier veröffentlicht, um das überkommene System zu modernisieren. Auf dem ersten Blick stellen die Vorschläge nur ein neues Korsett für alt Bekanntes dar. Auch bleibt manches noch kritisch zu hinterfragen, wie der Kollege David Klein festgestellt hat. Doch die Flexibilisierung des Studiums und Loslösung der Abschlüsse von den beiden Staatsexamina sind doch im Kern geradezu revolutionäre Gedanken, wenn man den Status Quo sich vor Augen hält.

Persönlich habe ich viel Gefallen an den Vorschlägen gefunden. Vielleicht sollte etwas mehr noch an verbesserte didaktische Methoden und Bedingungen gedacht werden. Die anonyme Massenvorlesung ohne aktive Partizipation, wie sie aktuell die Regel ist, dient bei der Wissensvermittlung herzlich wenig und ist damit ineffektiv.

Viel mehr würde es bspw. bringen verbindliche Lesevorgaben zu setzen, über die dann in der kommenden Stunde in einem überschaubaren Plenum breit diskutiert wird (und nicht nur von einigen wenigen). An amerikanischen Universitäten ist jene sog. sokratische Methode seit längerem Standard, so wie bei uns in der gymnasialen Oberstufe auch. Auch das Angebot wöchentlich Fälle zur Verfügung zu stellen und freiwillig zu benoten wäre zur Leistungskontrolle hilfreich (nicht nur für Examenskandidaten, sondern bereits für Anfänger).

Ich möchte auch dazu anregen neben dem Rechtsgutachten eine Variation anderer benoteter Leistungen zuzulassen. Sei es das Formulieren eines Memos an einen fiktiven Kanzlei-Partner, das Schreiben eines Rechtsaufsatzes über ein aktuelles juristisches Problem oder ein Planspiel einer juristischen Verhandlung. Ebenso denkbar wäre es rechtsgestaltende Tätigkeiten auszuführen. Sei es ein fiktives Gesetz samt Begründung zu formulieren oder einen Vertrag aufzusetzen. Dem Einfallsreichtum der Professoren fiele sicher auch weiteres Sinnvolle ein.

Als Selbstverständlichkeit setze ich dabei voraus, dass die Benotung fair und die Leistungsbewertung durch einen nachvollziehbaren Erwartungshorizont gedeckt ablaufen müssen. Die Erfahrungen mit den jetzigen Korrekturen und Anforderungen bei Rechtsgutachten zeigen jedoch, dass die didaktisch-methodische Schulung des Lehrpersonals leider manchmal zu Wünschen übrig lässt. Diese Mängel ließen sich aber mit dem nötigen Aufwand abstellen.

Ein Appell an die Entscheider daher zum Schluss: Wie gezeigt, ist so viel mehr möglich, als es das jetzige Studium hergibt. Das Jurastudium hat eine Modernisierung bitter nötig. Lassen Sie sich nicht ängstigen von Polemik und Kampfbegriffen wie "Juristenschwemme" oder "Schmalspurjuristen". Veränderungen am System und am Inhalt sind machbar und nötig, um einen guten Mix aus vertretbarer Studiendauer und -belastung, wissenschaftlichem Tiefgang und gestiegenen Praxisanforderungen miteinander zu vereinbaren. Ein flexibles Modell ermöglicht Freiräume, die aufgrund der derzeitigen Examensfixiertheit nicht bestehen. Die Gedanken des Stifterverbandes sind dabei ein guter Start für eine sachliche Diskussion und ich würde es sehr begrüßen, wenn am Ende einmal tatsächlich ein gefundenes Ergebnis auch umgesetzt wird. Der Bologna-Prozess schafft den nötigen externen Druck, um sich verstärkt Gedanken zu machen. Scheuen Sie daher bitte das Denken und Entscheiden nicht!

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