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Peinlich, peinlicher, Mecklenburger Justiz und die DSGVO – Eine Anatomie des Staatsversagens

I. Prolog: Wenn das Recht auf sich selbst trifft

In der abstrakten Welt der Rechtswissenschaften existiert ein Idealbild des Rechtsstaates, ein fein austariertes Gefüge aus Normenhierarchien, Verfahrensgarantien und richterlicher Kontrolle, das dem Schutz des Bürgers vor der Allmacht des Staates dient. Im Zentrum dieses Ideals steht das Gericht als unparteiischer und gesetzestreuer Dritter, als Hort der Vernunft und als letzte Bastion der Gerechtigkeit. Doch was geschieht, wenn der Apparat, der das Recht durchsetzen soll, selbst zum Objekt der rechtlichen Prüfung wird? Was geschieht, wenn ein Bürger sein verbrieftes Recht nicht gegen eine Verwaltungsbehörde, sondern gegen die Justiz selbst geltend macht? Die Antwort, die die mecklenburg-vorpommersche Justiz auf diese Frage in den vergangenen Monaten gegeben hat, ist mehr als nur eine Enttäuschung. Sie ist eine fundamental verstörende Offenbarung, einblicken lassend in eine Welt institutioneller Selbstbezogenheit, dogmatischer Ignoranz und einer geradezu atemberaubenden Verachtung gegenüber den Grundlagen des europäischen Rechts.


Die hier nachgezeichnete Chronik eines simplen Auskunftsverfahrens nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ist daher weit mehr als der Bericht über einen einzelnen Rechtsstreit. Es ist die Anatomie eines mehrstufigen Staatsversagens. Es ist die Dokumentation, wie ein klares, unmittelbar geltendes und mit einer Grundrechtscharta unterfüttertes Unionsrecht auf den provinziellen Starrsinn einer lokalen Justiz trifft und an deren Mauern aus Bequemlichkeit, falsch verstandener Kollegialität und dogmatischer Borniertheit zu zerschellen droht. Es ist die Geschichte eines Kampfes, der nicht hätte geführt werden müssen, wenn die beteiligten staatlichen Akteure – vom Sozialgericht über das Verwaltungsgericht bis hin zum Oberverwaltungsgericht – auch nur ein Mindestmaß jener Gesetzestreue an den Tag gelegt hätten, die sie von jedem Bürger täglich einfordern.

Dieser Beitrag ist somit eine Anklage. Er ist die notwendige, ungeschönte und mit den Mitteln der juristischen Analyse geführte Auseinandersetzung mit einem Vorgang, der die Frage nach der Effektivität des Rechtsschutzes in Deutschland neu stellt. Er benennt die Akteure, seziert ihre Entscheidungen und legt die Verfehlungen offen, nicht aus einem Geist der Polemik, sondern aus der Notwendigkeit heraus, einen Zustand zu dokumentieren, der mit den Prinzipien eines europäischen Rechtsstaates unvereinbar ist. Denn wenn das Recht auf sich selbst trifft und dabei erblindet, steht mehr auf dem Spiel als nur der Ausgang eines Einzelfalls. Es steht die Glaubwürdigkeit der gesamten dritten Gewalt auf dem Spiel.

II. Der Auslöser: Ein trivialer Antrag als Lackmustest für den Rechtsstaat

Der Ausgangspunkt der Ereignisse könnte kaum banaler sein und ist gerade deshalb so entlarvend. Am 04. Dezember 2024 richtete ich, in meiner Eigenschaft als Bürger der Europäischen Union, ein elektronisches Auskunfts- und Kopieersuchen gemäß Artikel 15 DSGVO an das Sozialgericht Schwerin. Der Gegenstand: die Verarbeitung meiner personenbezogenen Daten in einer Reihe von konkret bezeichneten, bei diesem Gericht geführten Verfahren. Mein Antrag war in seiner Formulierung unmissverständlich und juristisch präzise. Er zielte auf die vollständige und unentgeltliche Bereitstellung einer Kopie aller verarbeiteten personenbezogenen Daten in einem gängigen elektronischen Format, exakt so, wie es die DSGVO als Standard vorsieht. Es handelte sich um die Inanspruchnahme eines Rechts, das Bürger täglich in ganz Europa ausüben, ein Routinevorgang, für den jede ordentlich geführte Behörde längst standardisierte Prozesse etabliert haben sollte.

Dieser simple Antrag fungierte jedoch, ohne dass es beabsichtigt war, als ein Lackmustest für die Funktionsfähigkeit und Rechtsbindung der mecklenburgischen Justiz. Er legte offen, ob diese Institutionen die DSGVO als geltendes Recht oder lediglich als eine Art unverbindliche Empfehlung aus Brüssel betrachten. Er prüfte, ob die Prinzipien der Transparenz und der Rechenschaftspflicht, die das Herzstück der Verordnung bilden, auch dann noch gelten, wenn sich die Justiz selbst einer Prüfung unterziehen muss. Das Ergebnis dieses Tests ist ein Desaster, ein Zeugnis, das von einer tiefgreifenden Dysfunktion und einer schockierenden Gleichgültigkeit gegenüber den eigenen rechtlichen Verpflichtungen kündet. Es ist der Beginn einer Odyssee durch die Instanzen, die jede für sich ein neues Kapitel im Buch des institutionellen Versagens aufschlagen sollte.

III. Eskalationsstufe Eins: Das Sozialgericht Schwerin und die Kunst der Nichtbeantwortung

Die erste Reaktion einer Behörde auf einen Bürgerantrag ist oft aufschlussreich. Sie zeigt, ob der Bürger als Rechtssubjekt mit verbrieften Ansprüchen oder als Bittsteller und potenzieller Störfaktor wahrgenommen wird. Die Reaktion des Sozialgerichts Schwerin, als Behörde vertreten durch seinen Präsidenten, ließ an seiner Haltung keinen Zweifel. Die erste Reaktion war ein Anzweifeln der Identität des Antragstellers und dass obwohl dieser über die digitale Plattform "Mein-Justizpostfach" erfolgte, in dem nicht nur Name und Adresse es Nutzers hinterlegt sind, sondern auch jeder Sendevorgang mit einer Bestätigung durch den Personalausweis autorisiert werden muss. Kurzum, hier wurde von Seiten des Gerichts ein Problem erfunden, obwohl gar keins bestand. Danach folgte ohrenbetäubendes Schweigen. Die in Artikel 12 Absatz 3 DSGVO klar und ohne Interpretationsspielraum normierte Frist von einem Monat zur Beantwortung des Ersuchens – eine Frist, die dem Grundsatz der zügigen und effektiven Rechtswahrnehmung Rechnung trägt – wurde vom Sozialgericht schlichtweg ignoriert. Der Stichtag, der 06. Januar 2025, verstrich, ohne dass auch nur eine Mitteilung über eine mögliche Fristverlängerung, wie sie Artikel 12 Absatz 3 Satz 2 DSGVO unter engen Voraussetzungen gestattet, erfolgt wäre.

Dieser erste Rechtsbruch durch schlichte Untätigkeit war bereits ein klares Indiz für die mangelnde Organisation und die fehlende Priorisierung datenschutzrechtlicher Pflichten innerhalb des Sozialgerichts Schwerin. Doch was folgte, war keine verspätete Korrektur, sondern eine bewusste Fortsetzung der Rechtsverletzung in materieller und formeller Hinsicht. Erst mit Schreiben vom 23. Januar 2025 erreichte mich eine Antwort. Dieses Schriftstück, das den Anschein einer ordnungsgemäßen Bearbeitung erwecken sollte, war bei näherer Betrachtung eine juristische Unverschämtheit und eine Demonstration tiefster Missachtung gegenüber dem Unionsrecht.

Erstens erfolgte die Antwort postalisch. Mein Antrag war, wie dargelegt, bewusst elektronisch gestellt worden, um die zwingende Rechtsfolge des Artikel 15 Absatz 3 Satz 3 DSGVO auszulösen: die Bereitstellung der Informationen in einem gängigen elektronischen Format. Die Entscheidung des Gerichts, stattdessen den Postweg zu wählen, war keine Lappalie, sondern eine bewusste Missachtung meines gesetzlichen Wahlrechts und ein erster Versuch, die Bearbeitung des Anspruchs nach eigenem Gutdünken und nicht nach den Vorgaben des Gesetzes zu gestalten.

Zweitens, und ungleich schwerwiegender, war der mangelhafte Inhalt. Statt der beantragten und nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geschuldeten „originalgetreuen und verständlichen Reproduktion“ meiner personenbezogenen Daten, die sich in den Schriftsätzen und Entscheidungen befanden, erhielt ich ein sogenanntes „Vorstück“. Hierbei handelt es sich um eine rudimentäre, tabellarische Auflistung von Metadaten, die im Wesentlichen Aktenzeichen, Verfahrensstände und Beteiligtennamen auflistet. Der eigentliche Inhalt, die in den Dokumenten verarbeiteten Sachverhaltsdarstellungen, rechtlichen Bewertungen, Beweisanträge und richterlichen Erwägungen, kurz: alle Daten, die eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Verarbeitung erst ermöglichen, fehlten vollständig. Das Sozialgericht lieferte damit nicht die geforderte Kopie der Daten, sondern lediglich eine wertlose Hülle, ein Inhaltsverzeichnis ohne Buch. Dieses Vorgehen war eine unvollständige Erfüllung des Kerngehalts von Artikel 15 Absatz 3 DSGVO.

Das Verhalten des Sozialgerichts Schwerin muss daher als ein Akt der umfassenden Rechtsverweigerung qualifiziert werden. Es hat nicht nur eine, sondern gleich drei zentrale Vorschriften der DSGVO gebrochen: die Frist, die Form und den Inhalt. Es hat damit von Beginn an unmissverständlich klargemacht, dass es nicht gewillt ist, die Transparenzpflichten, die ihm die DSGVO auferlegt, ernst zu nehmen.

IV. Eskalationsstufe Zwei: Das Verwaltungsgericht Schwerin als Schutzschild des Unrechts

Der Gang zum Verwaltungsgericht Schwerin - passenderweise im gleichen Gebäudekomplex wie das Sozialgericht Schwerin untergebracht - war somit keine Eskalation meinerseits, sondern die einzig logische und notwendige Konsequenz, um einen andauernden, manifesten Rechtsbruch zu beenden. Ich beantragte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung des Sozialgerichts zur Erfüllung seiner gesetzlichen Pflichten. Man sollte annehmen, dass ein Verwaltungsgericht, dessen tägliches Brot die Kontrolle der Gesetzmäßigkeit von Verwaltungshandeln ist, einen derart offenkundigen und mehrfachen Rechtsverstoß ohne Zögern korrigieren würde. Doch die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Schwerin, unter dem Vorsitz der Richterin Wollenteit und mit Beteiligung der Richter Kellner und Mitschke, entschied sich für einen anderen Weg. Sie entschied sich, das Unrecht nicht zu beenden, sondern es mit einer juristisch abenteuerlichen und dogmatisch unhaltbaren Begründung zu legitimieren.

Der Beschluss vom 03. März 2025 (Az. 3 B 215/25 SN), mit dem mein Eilantrag zurückgewiesen wurde, ist ein Dokument, das in zukünftigen Seminaren zum Europarecht als Negativbeispiel für die Missachtung des Anwendungsvorrangs dienen sollte. Das Gericht verneinte die für eine einstweilige Anordnung erforderliche Eilbedürftigkeit mit einer Argumentationskette, die jeden europarechtlich geschulten Juristen fassungslos zurücklassen muss.

Erstens wurde die zwingende Monatsfrist des Artikel 12 Absatz 3 DSGVO zu einer irrelevanten Ordnungsvorschrift degradiert. Aus ihrer Missachtung, so das Gericht, folge keine besondere Dringlichkeit. Diese Argumentation verkennt den fundamentalen Zweck der Frist: Sie soll sicherstellen, dass Betroffene ihre weiteren Rechte (auf Berichtigung, Löschung, Schadensersatz) zeitnah, also zu einem Zeitpunkt, zu dem dies noch sinnvoll ist, wahrnehmen können. Eine Verzögerung vereitelt diesen Zweck und schafft irreparable Nachteile. Diesen vom Unionsgesetzgeber intendierten Zusammenhang ignorierte das Gericht vollständig.

Zweitens wurde der durch die Vorenthaltung der Kopie verursachte, andauernde Kontrollverlust über meine eigenen Daten als bloß „hypothetisches Risiko“ abgetan. Dies ist eine bemerkenswerte Verkennung der Realität. Der Verlust der Kontrolle ist kein hypothetisches, sondern ein sehr reales, von Tag zu Tag andauerndes Unrecht. Er ist der Kern des immateriellen Schadens, den der EuGH in seiner Rechtsprechung im Übrigen für noch Folgende Schadensersatzansprüche anerkannt hat.

Drittens, und dies ist der dogmatische Kernfehler der Entscheidung, argumentierte das Gericht, mein Informationsbedürfnis sei doch durch die Möglichkeit der prozessualen Akteneinsicht nach nationalem Recht (§ 120 SGG) hinreichend befriedigt. Diese Argumentation ist ein juristischer Offenbarungseid. Das Gericht ersetzt hier willkürlich einen spezifischen, materiellen, unentgeltlichen und weitreichenden Anspruch aus unmittelbar geltendem Unionsrecht durch eine völlig andersartige, nachrangige, kostenpflichtige und im Umfang engere prozessuale Figur des nationalen Rechts. Dies ist ein klarer und unzweideutiger Verstoß gegen den Grundsatz des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Costa/ENEL aus dem Jahr 1964, die jedem Jurastudenten in der Europarechtsvorlesung beigebracht wird, scheint in den Hallen des Verwaltungsgerichts Schwerin im Jahre 2025 noch nicht angekommen zu sein.

Das Verwaltungsgericht hat somit seine eigentliche Funktion pervertiert. Statt als Kontrollorgan zu fungieren und den Bürger vor rechtswidrigem Verwaltungshandeln zu schützen, hat es sich zum Schutzschild einer rechtsbrüchigen Justizbehörde gemacht. Es hat das Unionsrecht nicht angewendet, sondern es aktiv verdrängt, um das rechtswidrige Verhalten des Sozialgerichts zu sanktionieren. Die Entscheidung der Richter Wollenteit, Kellner und Mitschke war somit nicht nur eine fehlerhafte Rechtsanwendung, sie war ein bewusster Akt der Obstruktion gegen die Geltung europäischen Rechts in Deutschland. Nicht unerwähnt sein soll an dieser Stelle der Peinlichkeiten, dass die 3. Kammer doch tatsächlich zunächst erwog, den Rechtsstreit an das Sozialgericht Schwerin zu verweisen und sich zunächst nicht zuständig hielt. Das Gericht verkannte dabei, dass das Sozialgericht Schwerin nicht in seiner rechtsprechenden Funktion sondern als Justizbehörde gehandelt hatte und dieses auch kein Sozialträger ist. Selbst die sonst mit keiferndem Eifer wütende Prozessbevollmächtigte der Gegenseite stimmte mir in diesem Punkt zu.

V. Eskalationsstufe Drei: Das Oberverwaltungsgericht Greifswald als Vollstrecker der Willkür

Wenn die erste Instanz versagt, ist die Hoffnung auf Korrektur durch die höhere Instanz ein fundamentaler Mechanismus des Rechtsstaats. Die Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern war daher nicht nur ein prozessualer Schritt, sondern ein letzter Appell an die richterliche Vernunft und Gesetzestreue innerhalb des Instanzenzugs. Um diesem Appell das notwendige Gewicht zu verleihen und jede Möglichkeit eines Missverständnisses über die Komplexität und Eindeutigkeit der Rechtslage auszuschließen, wurde der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren von einem 27-seitigen, akribisch ausgearbeiteten Entwurf der Beschwerdebegründung begleitet. Dieser Schriftsatz war keine bloße Wiederholung, sondern eine umfassende juristische Abhandlung, die die Fehler des Verwaltungsgerichts systematisch sezierte und sie der erdrückenden Autorität der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gegenüberstellte. Jedes Argument des Verwaltungsgerichts wurde widerlegt, jede relevante EuGH-Entscheidung (insbesondere C-487/21, C-579/21, C-307/22) wurde mit entsprechender Randnummer zitiert. Es war der Versuch, den Richtern des Obergerichts eine Brücke zu bauen, um ohne Gesichtsverlust zur korrekten Rechtsanwendung zurückzukehren.

Die Reaktion des 1. Senats des Oberverwaltungsgerichts, besetzt mit den Richtern Sperlich, Ullrich-Jüttner und Loer, war jedoch keine Annahme dieses Angebots. Es war ein demonstrativer Akt der Zurückweisung, ein Beschluss, der in seiner argumentativen Leere und seiner pauschalen Ignoranz den vorläufigen Endpunkt dieser Chronik des Versagens markiert. Mit Beschluss vom 11. Juni 2025 (Az. 1 M 117/25 OVG) wurde mein Antrag auf Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Begründung dieses Beschlusses ist in ihrer Gesamtheit ein Dokument, das in die Annalen der deutschen Justizgeschichte als Paradebeispiel für richterliche Willkür eingehen sollte.

Der Senat erklärte, die Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Warum? Weil, so die Richter, die Gründe des Verwaltungsgerichts „zutreffend“ seien. Mein 27-seitiger, wissenschaftlich fundierter Vortrag, der das genaue Gegenteil bewies, wurde mit einer einzigen, vernichtenden Floskel bedacht: Er sei „nicht durchgreifend“.

Diese wenigen Worte stellen den eigentlichen Justizskandal dar. Hier spricht nicht mehr das Recht, hier spricht die reine Macht. Denn "hinreichende Erfolgsaussicht" besteht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dann, wenn die Sache nicht von vornherein aussichtslos ist. Aufgrund der detailliert angeführten EuGH-Rechtsprechung mussten die Erfolgsaussichten richtigerweise als überwiegend wahrscheinlich, schlimmstenfalls jendefalls als "offen" bewertet werden. Aber das hätte ja Arbeit für die Richter des Oberverwaltungsgerichts bedeutet?! Die Richter wollten sich offenbar nicht die Mühe machen, auch nicht nur ein einziges meiner Argumente haben sie widerlegt. Sie haben sich nicht mit der zitierten EuGH-Rechtsprechung auseinandergesetzt. Sie haben nicht erklärt, warum der Anwendungsvorrang des Unionsrechts hier nicht gelten sollte. Sie haben stattdessen eine offensichtlich rechtswidrige, unionsrechtsfeindliche Entscheidung der Vorinstanz durch einen schlichten Akt der Behauptung zur einzig richtigen erklärt.

Dies ist in mehrfacher Hinsicht ein elementarer Bruch mit den Grundsätzen richterlicher Tätigkeit. Erstens ist es eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör (Artikel 103 Absatz 1 GG) in seiner denkbar schwersten Form. Ein Gericht, das einen substantiierten Vortrag nicht würdigt, sondern pauschal mit wenigen Worten verwirft, verweigert das Gehör und degradiert das Verfahren zu einer Farce. Zweitens ist es eine bewusste Missachtung der Bindungswirkung von EuGH-Urteilen und damit eine Verweigerung der Rolle als Richter, die ihnen kraft ihres Amtes zukommt. Drittens ist es eine Perversion der Grundsätze der Prozesskostenhilfe. Die Richter haben das Verfahren nicht genutzt, um den Zugang zum Recht zu ermöglichen, sondern um es zu verhindern. Sie haben eine komplexe und für die mecklenburgische Justiz offensichtlich neue Rechtsfrage autoritativ und willkürlich gegen den mittellosen Bürger entschieden und ihm damit die Möglichkeit genommen, diese Frage in einem ordentlichen Rechtsmittelverfahren klären zu lassen. Dieses Vorgehen ist nicht nur ein Verstoß gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, 1 BvR 687/22), es ist ein Schlag ins Gesicht des Rechtsstaats!

Die Entscheidung der Richter Sperlich, Ullrich-Jüttner und Loer ist somit der Kulminationspunkt einer Kette von Verfehlungen. Sie ist keine fehlerhafte Rechtsanwendung mehr, sie ist eine bewusste Entscheidung gegen das Recht. Sie offenbart eine Haltung, die den eigenen richterlichen Spruch über das geltende europäische Gesetz stellt und die den Bürger, der es wagt, die Justiz selbst auf den Prüfstand zu stellen, mit offener Missachtung straft.

VI. Epilog: Die Konsequenzen und die verbleibende Hoffnung

Was bleibt nach dieser Odyssee durch die Instanzen der mecklenburgischen Justiz? Es bleibt die ernüchternde Erkenntnis, dass ein verbrieftes Unionsrecht, ein europäisches Grundrecht, wertlos ist, wenn die zur seiner Durchsetzung berufenen nationalen Gerichte nicht willens sind, es anzuwenden. Es bleibt der Eindruck einer Justiz, die sich in einem Zustand der Selbstimmunisierung befindet, in der eine Krähe der anderen kein Auge aushackt und in der die Kontrolle der Verwaltung am Tor des Gerichtsgebäudes endet. Es bleibt die Frage, ob es sich hier um ein bedauerliches, aber isoliertes Versagen Einzelner handelt oder um ein Symptom einer tieferliegenden institutionellen Kultur der Rechtsabwehr. Meine übrigen Erfahrungen mit der deutschen Justiz lassen auf letzteres schließen.

Die Konsequenzen aus diesem skandalösen Vorgang sind gezogen. Gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts wurde Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben. Gegen die beschuldigten Richter Sperlich, Ullrich-Jüttner und Loer wurde Strafanzeige und Strafantrag wegen des dringenden Verdachts der Rechtsbeugung erstattet. Denn wenn der ordentliche Instanzenzug durch Willkür und Rechtsverweigerung blockiert wird, bleiben dem Bürger nur noch diese außerordentlichen Rechtsbehelfe, um den Rechtsstaat gegen seine eigenen Organe zu verteidigen.

Es ist eine Schande, dass es so weit kommen musste. Es ist ein Armutszeugnis für eine Landesjustiz, deren Obergericht nicht in der Lage oder nicht willens ist, die einfachsten Grundsätze des Europarechts anzuwenden. Die Hoffnung ruht nun auf den Kontrollmechanismen, die unser Grundgesetz für solche Extremfälle bereithält. Es bleibt zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht und die zuständige Staatsanwaltschaft die Schwere dieses Unrechts erkennen und die notwendigen Konsequenzen ziehen werden. Denn die Frage, ob die DSGVO in Mecklenburg-Vorpommern gilt, ist keine akademische mehr. Sie ist eine Frage der fundamentalen Glaubwürdigkeit unseres gesamten Justizsystems.


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