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Ein Leipziger Triumph der Freiheit: Über die Kunst, eine Demokratie nicht zu Tode zu schützen

In einer Zeit, in der der Ruf nach einem starken, durchgreifenden Staat immer lauter wird, hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein Urteil von monumentaler Bedeutung für den freiheitlichen Rechtsstaat gefällt. Die Aufhebung des vom Bundesministerium des Innern verfügten Verbots der COMPACT-Magazin GmbH ist weit mehr als der Sieg einer einzelnen Klägerin; es ist ein rechtsphilosophisches und dogmatisches Meisterwerk, das die unverrückbaren Grenzen staatlicher Macht im Angesicht der grundgesetzlich garantierten Freiheitsrechte mit beeindruckender Klarheit nachzeichnet. Vor allem aber ist es eine schallende Ohrfeige für einen politischen Aktionismus, der im vermeintlichen Kampf gegen die Feinde der Demokratie Gefahr läuft, ihre fundamentalsten Prinzipien – allen voran die Meinungs- und Pressefreiheit – zu verraten.

Mit juristischer Nüchternheit und ohne jeden Anflug von Sympathie für die Klägerin bestätigte der Senat zunächst die grundsätzliche Anwendbarkeit des Vereinsrechts. Weder die Rechtsform einer GmbH noch der Status als Medienunternehmen gewähren einen pauschalen Schutz vor einem Verbot, wenn die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind. Das Gericht räumte damit die formalen Einwände souverän beiseite und machte deutlich, dass es sich der inhaltlichen Auseinandersetzung nicht entziehen würde. Mehr noch: Es attestierte der Vereinigung um Jürgen Elsässer, sich mit dem menschenverachtenden und dem egalitären Prinzip der Staatsbürgerschaft hohnsprechenden „Remigrationskonzept“ identifiziert zu haben. Die Richter fanden klare Worte für diese Ideologie, die deutsche Staatsbürger nach ihrer Herkunft in Klassen einteilt und damit den Kern der Menschenwürde verletzt. Auch das für ein Verbot erforderliche Merkmal des „Sichrichtens“ gegen die verfassungsmäßige Ordnung, also die geplante kämpferisch-aggressive Umsetzung dieser Ziele, sah der Senat als erfüllt an.

Bis zu diesem Punkt schien der Weg für die Bestätigung des Verbots geebnet. Doch hier entfaltet das Urteil seine ganze rechtsstaatliche Brillanz und vollzieht die entscheidende Wende. Es erinnert die Bundesinnenministerin und mit ihr die gesamte Exekutive an eine fundamentale Wahrheit, die in der politischen Hektik des Alltags verloren zu gehen droht: Das Grundgesetz ist keine Schönwetterverfassung. Es wurde im Vertrauen auf die Kraft der offenen Auseinandersetzung und die Mündigkeit der Bürger geschaffen. Seine Architekten wussten um die Gefahr von Ideologien, doch ihre Antwort war nicht die präventive Zensur, sondern die Garantie weitreichender Freiheiten, allen voran die in Artikel 5 geschützte Freiheit der Meinung und der Presse.

Diese Freiheit, so das Gericht, ist das Lebenselixier der Demokratie. Sie schützt nicht nur konsensfähige, vernünftige oder moralisch einwandfreie Äußerungen, sondern gerade auch die schrille, die polemische, die überspitzte und selbst die als unerträglich empfundene Kritik. Sie mutet der Gesellschaft und dem Staat zu, auch Meinungen zu ertragen, die ihren Grundwerten diametral entgegenstehen. Ein Verbot, das eine gesamte Organisation aus dem öffentlichen Diskurs entfernt, ist daher die absolute Ultima Ratio, ein Instrument von solcher Schärfe, dass es nur unter strengsten Voraussetzungen zur Anwendung kommen darf. Die entscheidende Hürde, die der Senat hier aufbaute, ist das Kriterium der „Prägung“. Ein Verbot ist nur dann verhältnismäßig, wenn die verfassungsfeindlichen Bestrebungen nicht nur ein Teil der Aktivitäten sind, sondern den Wesenskern und das gesamte Wirken der Vereinigung dominieren.

Nach eingehender Prüfung des umfangreichen Materials kam das Gericht zu dem Schluss, dass diese hohe Schwelle bei COMPACT noch nicht erreicht ist. Es erkannte an, dass sich eine Vielzahl der vom Ministerium angeführten Belege bei Anwendung des gebotenen weiten Interpretationsspielraums auch als zulässige, wenn auch radikale Kritik an der Migrationspolitik deuten lässt. Darüber hinaus würdigte der Senat die thematische Bandbreite der Publikationen, die sich eben nicht in der Propagierung eines völkischen Weltbildes erschöpft. Die ebenso vertretene, oft von Verschwörungstheorien und Geschichtsrevisionismus durchzogene Polemik gegen Coronamaßnahmen oder die Ukrainepolitik mag gesellschaftlich zersetzend wirken, doch sie fällt unter den weiten Schutzschirm des Artikels 5 und vermag für sich genommen ein Verbot nicht zu rechtfertigen.

In dieser Differenzierung liegt die eigentliche Botschaft des Urteils. Es ist eine Absage an eine Politik der bequemen Abkürzungen. Es entlarvt den Versuch des Bundesinnenministeriums als das, was er war: der mangelhaft vorbereitete und von rechtsstaatlicher Ungeduld geprägte Versuch, ein politisches Problem mit administrativen Mitteln zu lösen. Anstatt die inhaltliche Auseinandersetzung im öffentlichen Raum zu führen und die Bürger von der Stärke der eigenen Argumente zu überzeugen, wurde das schärfste Schwert des Vereinsrechts gezogen – und es erwies sich als stumpf, weil es an den grundrechtlichen Schutzschilden zerschellte. Diese Entscheidung ist daher auch ein Misstrauensvotum gegen eine Haltung, die in der Meinungsfreiheit primär eine Gefahr und nicht eine Chance sieht. Sie demonstriert, dass der Verfassungsschutz nicht dazu da ist, der Regierung unliebsame Opposition vom Hals zu schaffen oder den politischen Meinungskampf vorzuentscheiden.

Das Leipziger Urteil ist somit kein Freibrief für Extremisten, sondern ein kraftvolles Bekenntnis zur Widerstandsfähigkeit der freiheitlichen Demokratie. Es ist ein Lehrstück in liberaler Gelassenheit und rechtsstaatlicher Souveränität. Ein starker Staat zeichnet sich nicht durch die Furcht vor dem Wort aus, sondern durch das unerschütterliche Vertrauen in die Überzeugungskraft der Freiheit selbst. In Leipzig wurde nicht das COMPACT-Magazin geadelt, sondern das Grundgesetz in seiner ganzen freiheitlichen Konsequenz verteidigt – ein wahrhaftiger Triumph für den Rechtsstaat und eine notwendige Lektion für all jene, die ihn vor lauter Schutzbemühungen zu ersticken drohen.

Zur Pressemitteilung: BVerwG 6 A 4.24 - Urteil vom 24. Juni 2025

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