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Amtsschimmel - Folge 3: Jobcenter Ludwigslust-Parchim

Sogleich ein weiterer Fall, bei dem das Jobcenter Ludwigslust-Parchim in einem festen Dornröschenschlaf schlummerte. Diesmal spielt der Sachverhalt in der Zeit der Corona-Pandemie zu Beginn des Jahres 2022, welche von Bürgern und Behörden gleichermaßen erhebliche Einschränkungen und Anpassungen erforderten. Zur Erinnerung: Die epidemiologische Lage war im Januar 2022 nahe dem Scheitelpunkt der 4. Pandemiewelle, welche stufenlos in die 5. Pandemiewelle mündete. Die Zahl der bestätigten Neuinfektionen befand sich in jenem Zeitraum (Ende Januar/Anfang Februar 2022) auf einem bis dahin nicht gekannten Höhepunkt zwischen 126.000 und 161.000 mit Todeszahlen zwischen 214 und 188 Corona-Toten täglich. Zudem verbreiteten sich ansteckendere Corona-Varianten (Delta/Omikron) im Land, auf die die bis dahin verfügbaren Schutzmaßnahmen und Impfstoffe schlechter wirkten als gegen den Ur-Typ. Das RKI stellte für Delta und Omikron-Infektionen im Vergleich zur Alpha-Infektion höhere Raten an Hospitalisation, Intensivpflichtigkeit der Betroffenen und Tod fest, was auf eine höhere Virulenz dieser Varianten hinwies. Die Lage war damit trotz zahlreich erfolgter Impfungen zu dem Ur-Typ deutlich gravierender als die Lage in 2021 einzuschätzen.

Behörden hatten ihre Arbeitsprozesse auch u.a. mit Blick auf das grundrechtlich verbürgte Recht zum Schutz des Lebens ständig der jeweiligen Situation anzupassen. Einige Behörden haben aber anstatt adäquat auf das jeweilige Infektionsgeschehen zu reagieren, es versäumt die jeweils erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Im heutigen Fall möchte ich das Jobcenter Ludwigslust-Parchim einmal exemplarisch in den Mittelpunkt rücken. Dort wurde etwa Anfang 2022 wieder zu Vor-Ort-Terminen bestellt, wie es vielleicht noch im vorherigen Sommer 2021 angemessen war, doch Anfang 2022 war dies meines Erachtens nicht mehr vertretbar. So wurde etwa das Gewähren von Grundsicherung von einer persönliche Identifizierung vor Ort abhängig gemacht. Während Anfang 2021 noch ein elektronischer Antrag vom gleichen Antragsteller ohne weitere Nachfragen anstandslos ohne jegliche Vor-Ort-Interaktion bearbeitet wurde, wollte man ein Jahr später - trotz im Vergleich verschlechterter Pandemielage und trotz der bereits ausweisbestätigten Erfassung der beantragenden Person in dem elektronischen System, die Prüfung der Identität unbedingt vor Ort vornehmen - dazu hieß es in einer Aufforderung zur Mitwirkung vom 31.1.22: "Aktuell sind in unserem Jobcenter wieder Vorsprachen möglich und somit sind die Identitätsprüfungen nachzuholen. Bitte sprechen Sie daher persönlich bis zum 17.2.22 während der u.a. Service-Zeiten in der Eingangszone Ihres Jobcenters, zur Identitätsprüfung vor."

Natürlich wurde eine Versagung von Leistungen in Aussicht gestellt, wenn man jener angeblich bestehenden Mitwirkungspflicht nicht nachkäme. Zudem wurde zu einem persönlichen Meldetermin vor Ort eingeladen. Der Antragsteller stellte sich aufgrund der damaligen Situation auf den Standpunkt,  weder zu einer Identifizierung verpflichtet zu sein, weil er bereits ausweis-bestätigt im entsprechenden Online-System geführt wurde, noch dass es ihm als Angehörigen einer Risikogruppe zumutbar sei einen Vor-Ort-Termin wahrzunehmen. Durch Bescheid vom 22.2.22 versagte das Jobcenter die Gewährung der Leistung.

Nun war dem Jobcenter bereits aus Schriftverkehr in 2021 bekannt, dass der Antragsteller in einer Haushaltsgemeinschaft mit Angehörigen einer Risikogruppe zusammen lebt und auch selbst mit Herz-/Kreislauf-Beschwerden zu einer solchen gehörte.

Dass die Geschäftsführung des JC LWL-PCH trotz Inzidenzen im drei- und unteren vierstelligen Bereich bei hohen Hospitalisierungsinzidenzen im Landkreis LWL-PCH in jenem Zeitraum nicht zu der in 2021 gelebten Verwaltungspraxis zurückkehrte, ist bereits als grob fahrlässig zu bewerten. Und dass nunmehr selbst Angehörige von Risikogruppen unter Sanktionsandrohung zu Vor-Ort-Terminen geladen wurden, ist dann noch die Spitze der Unverfrorenheit! Die Regionaldirektion Nord stellte sich hingegen auf den Standpunkt, dass "alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen [wurden], um ein Ansteckungsrisiko zu minimieren." - auf die Vor-Ort-Präsenz wollte man aber offensichtlich nicht verzichten. Dabei sind selbst bei Beachtung jener Maßnahmen Übertragungen nicht völlig ausgeschlossen gewesen. Die Folgen von Long-Covid sind heute immer noch nicht eindeutig ermittelt, klar ist aber, dass ein ehrheblicher Teil der Infizierten damit für längere Zeit in nicht unerheblichem Maße in ihrem körperlichen Wohlbefinden beeinträchtigt ist. Darf der Staat vom Bürger verlangen sich einem nicht unerheblichem Gesundheitsrisiko auszusetzen, um Sozialleistungen zu erhalten? Ich denke: Nein. Demnach wäre es in dieser Situation die einzig vertretbare Lösung gewesen, zu der Verwaltungspraxis von Anfang 2021 zurrückzukehren!

Die eingelegten Widersprüche waren dann auch vollumfänglich erfolgreich. Die Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die kopflos handelnden Mitarbeiter des Jobcenters blieb jedoch aus nicht nachvollziehbaren Gründen erfolglos. Ein Dienstvergehen ist eine schuldhafte Verletzung der Dienstpflichten oder des außerdienstlichen Verhaltens (vgl. § 77 Abs. 1 S. 1 BBG). Schuldhaft ist fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten (§ 276 Abs. 1 und 2 BGB).

1. Gründe, warum an der bereits erfolgten Anerkennung der Ausweis-bestätigten Identifikation des Antragstellers vor der BfA zu zweifeln gewesen wären, lagen von Anfang an fern, schon allein, da Zweck jener Online-Plattform gerade eine Vereinfachung von Verwaltungs- und Kommunikationsprozessen mit den betroffenen Bürgern sein sollte und das dort praktizierte Authentifizierungsverfahren schlicht sinnlos wäre, wenn die betreibenden Behörden dieses nicht gegenseitig anerkennen würden. Auch aus dem Schriftwechsel stand nie in Abrede, dass die Identität des Antragstellers in Frage stünde.

Vor dem Hintergrund, dass Anfang 2021 ebenso keine persönliche Identifikation als notwendig erachtet worden ist, um Leistungen zu gewähren, hätte spätestens nach entsprechendem Vortrag - gerade in Anbetracht der zu jenem Zeitpunkt herrschenden Pandemielage - bereits von einer Identifizierung abgesehen werden müssen. Zu dieser Einsicht kamen sämtliche Sachbearbeiter auf Seiten des Jobcenters Ludwigslust-Parchim hingegen nicht. Ein durchschnittlicher und gewissenhafter Sachbearbeiter wäre zu der Einsicht fähig gewesen, aufgrund der gegebenen Umstände auf eine persönliche Identifizierung vor Ort zu verzichten. Nur so wäre der zwischenzeitlich eingetretene Zeitverzug für den Bezug der Leistungen ausgeblieben. Doch selbst im Einstweiligen-Rechtsschutz-Verfahren bestand das JC LWL-PCH - entgegen dem richterlichen Hinweis auf dessen Entbehrlichkeit - noch auf einer solchen persönlichen Identifizierung vor Ort. Auch hier hätte bereits zu einem früheren Zeitpunkt eine Konsultation mit der Teamleitung, der Geschäftsführung oder der Regionaldirektion Nord erfolgen können und auch müssen, um auf die sich stellende Problematik angemessen und zeitnah zu reagieren.

2. Was die “Telefonischen Meldetermine” angeht, auf die das JC LWL-PCH als mildere Alternative verwies, die der Antragsteller nicht nachkommen wollte, hat sich die Bundesregierung bei einer parlamentarischen Anfrage bereits geäußert, dass es hierzu an einer tauglichen Rechtsgrundlage mangelte (BT-Drs. 19/25435, S. 119 f.). Auch hier hatte das JC LWL-PCH im zweiten Jahr der Pandemie nicht auf der Höhe der Zeit agiert, so dass "Telefonische Meldetermine" nur auf freiwilliger Basis und ohne Sanktionsmöglichkeit überhaupt durchführbar waren, aber keinesfalls eine Mitwirkung hieran erzwungen oder auf sie als Minusmaßnahme verwiesen werden darf.

Was die Einladung von Angehörigen von Risikogruppen anbelangt: Ein durchschnittlicher und gewissenhafter Sachbearbeiter wäre zu der Einsicht fähig, aus dem bekannten vorherigen Schriftverkehr solcherart Informationen zu erfassen und aktenkundig festzuhalten, sowie im weiteren Gang der Bearbeitung zu berücksichtigen und in Konsequenz jenes Wissens von Einladungen zu Vor-Ort-Terminen bei entsprechender Pandemielage abzusehen. Die hierzu angeführte Rechtsprechung des SG Hildesheim (Az.: S 58 AS 4177/20 ER) existierte auch bereits seit dem Jahr 2020 und hätte in den Arbeitsabläufen des JC LWL-PCH in 2022 so langsam einmal Berücksichtigung finden können. Dass dies unterblieben war, stellte ein weitere Dienstvergehen der Teamleitung bzw. der Geschäftsleitung dar.

Folgerichtig hielt ich eine strafrechtliche Überprüfung für geboten, da auch eine versuchte Körperverletzung durch die Einladung zu dem Vor-Ort-Termin als auch eine versuchte Nötigung durch das Abhängigmachen der begehrten Sozialleistung von der Vor-Ort-Identifikation meines Erachtens im Raum stand. Immerhin hätte man sich auch auf den Standpunkt stellen können, dass sich die Mitarbeiter mit dem jeweiligen Verletzungserfolg abgefunden haben könnten oder ihnen gleichgültig war. Das würde jedenfalls zur Bejahung des nötigen Vorsatzes ausreichen. Zunächst ließ man sich dann aber bei der Staatsanwaltschaft ein Jahr mit der Bearbeitung Zeit. Doch hat sich das leider nicht in einer besseren Qualität der Ermittlungen niedergeschlagen. Die Pandemielage zu jenem Zeitpunkt spielte in den Köpfen der Staatsanwältinnen keine Rolle mehr, man fand dann auch keine Erkenntnisse, um von einem vorsätzlichen Verhalten auszugehen. Und dass, obwohl das Wissen um die Pandemieumstände und einer potenziellen tödlich endenden Folge einer Infektion bei Angehörigen einer Risikogruppe als allgemein bekannt vorausgesetzt werden konnte und die Gefahr einer Ansteckung in jenem Zeitraum auch erhöht war (ähnlich auch: AG Braunschweig, Urteil vom 11. Dezember, Az.: 112 C 1262/20). Die Sachbearbeiter beim JC LWL-PCH wussten durch die Berichterstattung auch über die besonderen Umstände der Corona-Pandemie bescheid, gerade während der Höhepunkte der 4. und 5. Welle. Ihnen hätte daher auch bewusst sein müssen, dass gerade Angehörige von Risikogruppen sich in großer Sorge wegen des Infektionsgeschehens befanden und psychisch belastet waren, wenn sie zu Vor-Ort-Terminen geladen werden. Umso stärker wirkte diese Belastung, weil zudem die Gewährung von Sozialleistungen hiervon abhängig gemacht wurde bzw. bei Nichtbefolgen unter Sanktionsandrohung stand. Was die Staatsanwaltschaft wohl gesagt hätte, wenn der Antragsteller im Beisein eines Mitarbeiters bei dem Vor-Ort-Termin genießt hätte? Das AG Braunschweig hatte jedenfalls in einer ähnlichen Sachverhaltskonstellation jedenfalls Eventualvorsatz angenommen.

Fazit: Es ist skandalös, wie oberflächlich der Vorgang durch das Jobcenter LWL-PCH und der beteiligten Staatsanwaltschaften bearbeitet wurde. Dass jene schikanöse, offenkundig rechtswidrige und potenziell die Gesundheit schädigende Bearbeitung durch das Jobcenter LWL-PCH auch noch strafrechtlich ungesühnt bleiben soll, während in einem Zivilverfahren das Anhusten von Behördenmitarbeitern als Körperverletzung gewertet wurde (AG Braunschweig, Urteil vom 11. Dezember, Az.: 112 C 1262/20), ist kaum nachvollziehbar. Wie auch schon in den letzten Folgen, scheint der Staat hier wieder einmal mit zweierlei Maß zu messen. Der antragstellende Bürger durfte jedenfalls drei Monate lang auf die ihm zustehende Sozialleistung warten und seinen Lebensunterhalt in der Zwischenzeit aus Rückstellungen begleichen. Es bliebe zu klären, wie viele Bürger sich noch von den Jobcentern im Land der Gefahr einer nicht unerheblichen Gesundheitsverletzung ausgesetzt sahen und ob dadurch sogar Menschen zu Tode gekommen sind. Dieses dunkle Kapitel der Bewältigung der Corona-Pandemie in Deutschland hat jedenfalls noch eine gründlichere Aufarbeitung verdient!

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