In einem Interview mit der in Freiburg erscheinenden "Zeitung am Samstag" äußerte sich Jürgen Grässlin, Realschullehrer und Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) zum Thema. Ich sah mich aufgrund des Tons der aktuellen Debatte dazu veranlasst, ihm folgenden offenen Brief zuzusenden, den ich hiermit veröffentlichen möchte:
Sehr geehrter Herr Grässlin!Ihre Aussagen im Interview in der "Zeitung am Samstag" vom 21. März 2009
halte ich an einigen Punkten für äußerst bedenklich.
An anderer Stelle begrüße ich dagegen ausdrücklich ihr Engagement.
Dazu im Einzelnen:1) "Selbstverständlich wird nicht jeder Killerspieler zum Amokläufer. Aber ganz offensichtlich können Killerspiele zu Gewalt animieren. "Americas Army" wurde von US-Militärs zur Rekrutierung von Soldaten auf den Markt gebracht. Junge Männer und Frauen sollen so für den Krieg begeistert werden."Unter anderem setzen Sie "Killerspiele" hiermit in einem militaristischen Kontext, der mit den tatsächlichen Marktverhältnissen nichts zu tun hat. Eine Vielzahl von Ego-Shootern sind allein im letzten Jahrzehnt erschienen. "America's Army" ist aber, soweit mir bekannt, der einzige Ego-Shooter, der direkt vom Militär entwickelt wurde. Ein militärisch-industrielles Motiv zu suggerieren, ist daher völlig verfehlt.Auch setzen sie einen Zusammenhang zwischen Killerspielen und Gewalt voraus. Studien, die einen Kausalzusammenhang zwischen aggressivem Verhalten und Computerspielen annahmen, wurden im Jahr 2008 von Wissenschaftlern der amerikanischen Universität Harvard in einer neuen, auf aussagekräftigeren Methoden beruhenden Studie, die mit 1,5 Mio $ vom amerikanischen Justizministerium finanziert wurde, widerlegt. Die anderen Studien seien, laut der federführenden Wissenschaftlerin Cheryl Olsen aus Harvard, "schlichtweg Müll" und oftmals von Institutionen gesteuert, die bereits ein fertiges Ergebnis im Kopf hatten, wie sie in einem Interview gegenüber Spiegel Online verlautbarte. Ein Kausalzusammenhang zwischen Aggressivität und Computerspielen kann ihrer Meinung nach nicht bewiesen werden.
Damit fällt nun aber die Prämisse von Ihnen und der Politiker, die für eine Verschärfung des Jugendschutzes plädieren, in sich zusammen. Mit anderen Worten: Eine Gesetzesverschärfung wird uns keinen einzigen möglichen neuen Amoklauf ersparen, da Computerspiele gar nicht jenes Aggressivverhalten beeinflussen, welches in jener schrecklichen Tat gipfelt. Eine Gesetzesverschärfung ist für den angestrebten Zweck also schon völlig ungeeignet.
2) Sie fordern in dem Zusammenhang, dass "internationale Regularien geschaffen werden, damit die Hersteller und Händler strafrechtlich belangt werden können. Denn wer Killerspiele auf den Markt bringt, zerstört die kindliche Psyche und handelt in diesem Sinne kriminell."
Als Examenskandidat im Fach Rechtswissenschaften stört mich diese Forderung vom grundsätzlichen Verständnis unserer staatlichen Ordnung her. Bei indizierten Titeln gibt es schon längst Straftatbestände, die für den staatlichen Repressionsanspruch (insb. Werbe- und Abgabeverbote) ausreichend sind. Aufgabe des Strafrechts (ultima ratio!) kann es darüber hinaus doch nicht sein, pädagogische Auffassungen durchzusetzen, deren Faktenlage, wie oben gezeigt, äußerst fraglich ist! Ich halte das für ein äußerst bedenkliches Rechtsstaatsverständnis! Das Grundgesetz stellt an Einschränkungen der freien Entfaltung der Persönlichkeit und der allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) der Spieler, bzw. Eigentum (Art. 14 GG) und Berufsfreiheit (Art. 12 GG) der Hersteller und Händler, hohe Anforderungen, dem der Jugendschutz Rechnung zu tragen hat. Im Wege der praktischen Konkordanz muss eine Interessenabwägung stattfinden. Aufgrund der hohen Eingriffsqualität und der Verfügbarkeit milderer, gleich geeigneter Mittel (bestehende Jugendschutzregelungen und Prüfverfahren sowie die Ungeeignetheit jener Maßnahmen, um Amokläufe zu verhindern), würde ein deutsches Umsetzungsgesetz somit an dieser verfassungsrechtlichen Hürde scheitern.3) Den von Ihnen in Ihrem Projekt aufgezeigten Weg die Medienkompetenz von Jugendlichen zu stärken, halte ich dagegen für eine im Grundsatz unterstützens- und begrüßenswerte Sache. Sich argumentativ aus verschiedenen Positionen dem Thema zu nähern, zeigt deutlich die unterschiedlichen Interessenlagen der an dem Verfahren beteiligten Akteure dar. Wichtig wäre mir in diesem Zusammenhang zu betonen, dass einzelfallbezogen die Jugendgefährdung eines Ego-Shooters festgestellt werden muss. Die Frage kann daher nicht lauten, ob generell gewaltverherrlichende Computerspiele verboten werden müssen, sondern ob das jeweils zu prüfende Spiel jugendgefährdend ist. Eine faire Beurteilung kann daher nur vorgenommen werden, wenn die Diskussion ergebnisoffen geführt wird, d.h. ohne Vorverurteilungen grundsätzlicher Art, wie sie leider aus dem Interview hervor gehen.Mit freundlichen Grüßencand. iur. Marcus Seyfarth