Zwei verschiedene Denkschulen prallen gerade im Kulturbereich heftig aneinander. Einerseits Vertreter, die an dem überkommenen Urheberrechtssystem festhalten wollen und andere, die es an die Veränderungen des 21. Jahrhunderts anpassen möchten.
In der ZEIT wurde kürzlich James Boyles neuestes Werk, "Public Domain", rezensiert. Dort heißt es so schön:
Im Internet wird nur geklaut, klagt die Unterhaltungsindustrie. Helfen sollen striktere Urheberrechte und eine penible Überwachung des Internets. Bloß das nicht!, sagt der Jura-Professor James Boyle von der Duke University. Diese Politik der hohen Mauern schade allen Beteiligten, sagt Boyle. Seine These: Je größer der allgemein zugängliche Fundus an Ideen und Informationen sei, desto innovativer, produktiver und profitabler werde die Welt. Folglich preist Boyle die digitale Revolution. Sie verringere Produktionskosten, vereinfache den Informationsaustausch und ermögliche globale Zusammenarbeit an eigentlich allem.
Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ DIE GRÜNEN fordert eine Kulturflatrate, eine Pauschale für die Nutzung von Film und Musik und möglicherweise anderen Inhalten. Sie ließ dazu ein Rechtsgutachten zur Machbarkeit einer solchen Pauschalabgabe erstellen. Was dies konkret heißt, beantwortet der Autor des Rechtsgutachtens, Prof. Roßnagel, vom Europäischen Institut für Medienrecht in Kassel, wie folgt:
In der Musikindustrie setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass der Kampf gegen unerlaubte Vervielfältigungen nicht gewonnen werden kann. Eine denkbare Lösung dieses Interessenkonflikts könnte die gesetzliche Einführung einer so genannten Content- oder auch Kulturflatrate sein. Mit diesem Begriff wird der Ansatz beschrieben, die nichtkommerzielle Weitergabe und Vervielfältigung von digitalen, urheberrechtlich geschützten Werken, wie zum Beispiel Musik, Filme, Software oder E-Books, über das Internet zu legalisieren und zum Ausgleich eine pauschale Gebühr zur Entschädigung der Rechteinhaber zu erheben und an diese abzuführen. Pauschalvergütungen sind gerade für Nutzungshandlungen, die so massenhaft erfolgen, dass sie sich dadurch der individuellen Überprüfung entziehen, nicht unbekannt. Die konkrete Ausgestaltung einer Kulturflatrate kann allerdings hinsichtlich verschiedener Einzelaspekte sehr unterschiedlich ausfallen. Denkbar ist zum Beispiel, sie als freiwilliges Geschäftsmodell oder gesetzlich verpflichtend, für alle Kulturobjekte, die digitalisiert werden können, oder nur für einzelne Werktypen, auf nationaler, europäischer oder gegebenenfalls sogar internationaler Ebene einzuführen. Der allgemeine Ansatz einer Kulturflatrate wird seit einigen Jahren in den Medien und der rechtswissenschaftlichen Literatur intensiv diskutiert. Die Rechteinhaber lehnen dies jedoch ab. Sie halten dies für eine „Enteignung“ und sprechen sogar von einer „Sowjetisierung“ des Urheberrechts.
Die Studie kommt zum Ergebnis, dass der Eingriff in die Rechte der Urheber und Rechteinhaber durch die Einführung einer Kulturflatrate im Rahmen des Grundgesetzes insgesamt verhältnismäßig ist. Auch eine unzulässige Belastung der Internet-Nutzer oder der Anbieter von Bezahlangeboten zum Musik-Download sei nicht gegeben. Gespannt bleibt zu beobachten, ob sich der Ansatz einer Kulturflatrate durchsetzen lässt. Fraglich ist vor allem, wie konkret das eingeholte Geld an die Kulturschaffenden verteilt werden soll.
Im Bereich der Publikationen tobt gerade schon ein mit harten Bandagen geführter Verteilungskampf, dessen Hintergrund auch von der Digitalisierung großer Bibliotheksbestände durch Google beeinflusst wird. Einige Wissenschaftler, die sich im "Heidelberger Appell" zusammengeschlossen haben, wenden sich vor allem gegen die aus ihrer Sicht befürchteten Aushöhlung ihrer Rechte. Ihr Sprecher ist der Philologe Roland Reuß.
Auf der anderen Seite steht die Open Access-Bewegung, die einen kostenlosen Zugriff auf staatlich finanzierte Wissenschaftspublikationen anstrebt. Und zwischen beiden Lagern, in denen vorwiegend Wissenschaftler versammelt sind, gibt es mächtigen Ärger, da Reuß gerne auch mit kräftigen Worten auf seine Wissenschaftskollegen einprescht.
Heise Online berichtet:
[Reuß] sehe bei der "[Open Access-]Bewegung" im Wissenschaftsbereich zur freien Veröffentlichung urheberrechtlich geschützter Werke "die Gefahr eines großen Staatsverlags", [und] warnte auf der Urheberrechtskonferenz des Bundesjustizministeriums vor einem "totalitären Kreislauf". Bei dem Ansatz werde "nicht dem öffentlichen Wettbewerb überlassen, was publiziert wird". Vor allem störe ihn die Anforderung der "entgeltfreien" Veröffentlichung, an der jedes normale Abonnementmodell scheitern werde: Kein Verlag werde etwa drucken, wenn es spätestens sechs Monate später kostenlos im Netz legal verfügbar sei.
Rainer Kuhlen vom Aktionsbündnis "Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft" bezeichnete die Heidelberger Erklärung dagegen als "vergifteten Apfel". Der Spezialfall des singulären Autors, der allein "Wahrheit" produziere, dürfe nicht verallgemeinert und etwa auf die Naturwissenschaften übertragen werden. Das Wissen sei Allgemeingut und freizugeben. Die Gesellschaft finanzierte die Produktion von Wissen, sodass sie auch darauf zurückgreifen können müsse. Es werde aber kein "Zwang" ausgeübt auf alle Forscher, ihre Ergebnisse gemeinfrei zu machen oder kostenlos zu veröffentlichen. "Open Access"-Publikationen würden es Wissenschaftlern aber ermöglichen, schneller und schrankenfrei wahrgenommen zu werden. Auch Googles Buchsuche wertete der Informationswissenschaftler als größtenteils "im Interesse der Wissenschaft".
Was genau ist aber nun Open Access und was verbirgt sich dahinter? Ein Artikel von mir, der sich detailiert mit dem Open Access-Prinzip auseinandersetzt, ist im Bucerius Law Journal veröffentlicht worden und er sei zur weiterführenden Lektüre empfohlen.
Meines Erachtens geht die Kritik des "Heidelberger Apells" über die Open Access-Bewegung an der Realität vorbei. Die Position des Autors wird gegenüber den Verlegern gerade gestärkt, verbleiben doch die wesentlichen Rechte nunmehr bei ihm. Eine Monopolisierung durch einen Staatsverlag ist geradezu abwegig. Der Staat publiziert nicht selbst. Ein Verbund von Wissenschaftlern publiziert zumeist eigene Open Access-Zeitschriften. Was am status quo besser sein soll, bleibt Reuß schuldig. Hier verdienen in erster Linie die etablierten Wissenschaftsverlage, die einerseits die Inhalte und die Qualitätskontrolle durch die Wissenschaftler (zumindest nahezu) kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen und andererseits sich vom Staat als Hauptabnehmer ihrer teuren Zeitschriften die Früchte staatlicher Forschung nochmals bezahlen lassen.
Im Bereich der Wissenschaftspublikationen sind die Vorteile von Open Access für die Wissensproduzenten und -bezieher so evident, dass in den Naturwissenschaften - wo der Leidensdruck der Forscher am höchsten war - in kurzer Zeit sehr renommierte Blätter entstanden sind, die häufig zitiert werden. In anderen Publikationsbereichen muss anders die Sozialpflichtigkeit des geistigen Eigentums gewahrt werden, wie beispielsweise durch die oben erwähnte Kulturflatrate.
So hoffe ich dann auch, dass sich die besseren Argumente durchsetzen und die schlauen Köpfe von unsachlicher Hysterie nicht beeindrucken lassen werden.