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Sperrbezirk: Köln - Eine Urteilsanmerkung

Pünktlich zur Karnevalszeit gibt es neue Kuriositäten in Sachen von Verbotsverfügungen in deutschen Innenstädten.

Dieses Mal trifft es die Hauptstadt des Karnevals (Entschuldigung, Mainz! Sorry, Düsseldorf!) Köln. Auch ging es in der Verbotsverfügung nicht ausschließlich um alkoholische Getränke, wie es noch in Freiburg der Fall war (sog. "Alkoholsperrbezirk"), sondern generell um Getränke in Glasflaschen, (sog. "Glasverbot").

In den vergangenen Jahren gab es durch zerbrochenes Glas nämlich nicht nur allerhand Verletzte, auch führte es zu Beschädigungen an den Einsatzfahrzeugen und deren Reifen.

Doch reicht dies für sich genommen aus, um sämtliches Mitsichführen von Glasflaschen in der Karnevalszeit in der Kölner Innenstadt zu verbieten?

Dies scheinen die obersten Verwaltungsrichter Nordrhein-Westfalens nun teilweise anders zu sehen. Denn nachdem im letzten Jahr ein vergleichbares Vorhaben der Stadt Freiburg grandios vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg gescheitert war, gibt es nun eine anders lautende (Eil-)Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (Az.: 5 B 119/10 und 5 B 147-150/10).

Anders als die Münsteraner Kollegen sah es noch die Vorinstanz, das VG Köln (Az.: 20 L 88/10):

Maßgebliches Kriterium zur Feststellung einer Gefahr ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Das trifft sowohl für die „konkrete“ Gefahr zu, die zu Abwehrmaßnahmen im Einzelfall berechtigt, als auch für die ordnungsbehördlichen Verordnungen zugrunde liegende „abstrakte“ Gefahr. Die abstrakte Gefahr unterscheidet sich von der konkreten Gefahr nicht durch den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, sondern durch den Bezugspunkt der Gefahrenprognose bzw. durch die Betrachtungsweise: Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann; eine abstrakte Gefahr ist gegeben, wenn eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt und daher Anlass besteht, diese Gefahr mit generell-abstrakten Mitteln, also einem Rechtssatz zu bekämpfen, was wiederum zur Folge hat, dass auf den Nachweis der Gefahr eines Schadenseintritts im Einzelfall - anders als bei der konkreten Gefahr - verzichtet werden kann. Hinsichtlich des Grades der Wahrscheinlichkeit muss differenziert werden je nachdem, welches Schutzgut auf dem Spiel steht. Ist der möglicherweise eintretende Schaden sehr groß, dann können an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nur entsprechend geringe Anforderungen gestellt werden. Ist die Behörde mangels genügender Erkenntnisse über die Einzelheiten der zu regelnden Sachverhalte und/oder über die maßgeblichen Kausalverläufe zu einer hinreichend abgesicherten Gefahrenprognose nicht im Stande, so liegt keine Gefahr, sondern - allenfalls - eine mögliche Gefahr oder ein Gefahrenverdacht vor. Zwar kann auch in derartigen Situationen ein Bedürfnis bestehen, zum Schutz der etwa gefährdeten Rechtsgüter, namentlich höchstrangiger Rechtsgüter wie Leben und körperlicher Unversehrtheit von Menschen, Freiheitseinschränkungen anzuordnen. Doch beruht ein solches Einschreiten nicht auf der Feststellung einer Gefahr; vielmehr werden dann Risiken bekämpft, die jenseits des Bereichs feststellbarer Gefahren verbleiben, vgl. BVerwG, Urteil vom 26.06.1970 - IV C 99.67 - DÖV 1070, 713, 715; Urteile vom 28.06.2004 - 6 C 21/03 - Juris, vom 03.07.2002 - 6 CN 8/01 - BverwGE 116, 358 sowie Urteil vom 19. Dezember 1985 - 7 C 65.82 - BVerwGE 72, 300; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.07.2009 - 1 S 2200/08 Juris.


Auf der Grundlage des vorstehend dargelegten Gefahrenbegriffs kann die Kammer gegenwärtig nicht feststellen, dass allein durch das durch die Allgemeinverfügung untersagte Mitführen und die Benutzung von Glasbehältnissen in den räumlich und zeitlich definierten Grenzen die Gefahrenschwelle bereits überschritten wird. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass es in der Vergangenheit im K. Straßenkarneval zu den in der Allgemeinverfügung beschriebenen Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dadurch gekommen ist, dass Glasbehältnisse entgegen § 5 Abs. 1 der K. Straßenordnung vom 01.04.2005 (KStO) nicht ordnungsgemäß entsorgt wurden bzw. es in Verbindung mit Alkoholkonsum zu Störungen im Sinne des § 12 lit. c) KStO gekommen ist. Ebenso wenig verkennt die Kammer, dass nicht ordnungsgemäß entsorgte Glasbehältnisse und entstehender Glasbruch zu Stolperfallen werden, Verletzungen verursachen, bei körperlichen Auseinandersetzungen als gefährliche Waffe eingesetzt und zu einer Behinderung von Einsatzkräften etwa durch Reifenschäden führen können.


Es liegt aber offen zu Tage und ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig, dass das Mitführen und die Benutzung von Glasbehältnissen für sich genommen noch keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt. Eine Gefahr entsteht nur dann und soweit zusätzliche Verursachungsbeiträge hinzukommen. So muss als weiterer Verursachungsbeitrag stets mindestens hinzukommen, dass die mitgeführten Glasbehältnisse ordnungswidrig entsorgt werden. Selbst eine ordnungswidrige Entsorgung, die im Übrigen in der K. Straßenordnung bereits bußgeldbewehrt ist, führt aber ohne das Hinzutreten weiterer Umstände noch nicht zu einer konkreten Verletzungsgefahr oder Behinderung von Einsatzkräften. Erforderlich ist zusätzlich in der Regel der Eintritt von Glasbruch oder sogar - im Falle der missbräuchlichen Verwendung als Schlagwaffe oder Wurfgeschoss - ein bewusster Willensentschluss eines Einzelnen zur Begehung von Straftaten. Angesichts der Vielschichtigkeit der denkbaren maßgeblichen Kausalzusammenhänge verbietet es sich nach Auffassung der Kammer, ordnungsrechtliche Maßnahmen bereits an ein objektiv noch nicht gefahrbegründendes Handeln anzuknüpfen.


Die obersten nordrhein-westfälischen Verwaltungsrichter sahen angesichts der Besonderheiten des Kölner Karnevals allerdings einen Vorrang des öffentlichen Vollziehungsinteresses vor dem privaten Aussetzungsinteresses für gegeben, hatten aber auch Zweifel an der Eignung und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme und beanstandeten das Fehlen einer Rechtsgrundlage. Eine nähere Befassung damit soll aber dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.


Aus den vom Verwaltungsgericht [Köln] angeführten Gründen wird zwar im Allgemeinen durch das Mitführen und Benutzen von Glasbehältnissen die Gefahrenschwelle nicht überschritten. Die vom Antragsgegner umfangreich dokumentierten und in der angegriffenen Allgemeinverfügung dargestellten besonderen Verhältnisse des Kölner Straßenkarnevals geben hier jedoch Anlass zu einer differenzierteren Betrachtung. Dabei ist das Verwaltungsgericht [Köln] zutreffend davon ausgegangen, dass ein Einschreiten auf der Grundlage von § 14 Abs. 1 OBG NRW eine konkrete Gefahr voraussetzt und diese nur dann vorliegt, wenn in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann. [...]


Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre gehen bei den großen Karnevalsfeiern in den vom Antragsgegner angeführten innerstädtischen Bereichen Kölns von Glasbehältnissen und Glasscherben erhebliche Verletzungsgefahren insbesondere für die Feiernden aus. Auf Grund der unüberschaubaren Menge der auf dem Boden liegenden Glasflaschen und Scherben ("Scherbenmeer") und angesichts der dicht gedrängten Menschenmassen sowie des umfangreichen Alkoholkonsums kommt es immer wieder zu Stürzen, Schnittverletzungen und einer Vielzahl von Reifenschäden an Fahrzeugen der Ordnungs- und Rettungskräfte. Nicht selten werden Flaschen auch achtlos in die Menge geworfen oder gar gezielt als Waffe in körperlichen Auseinandersetzungen eingesetzt. Der so vom Antragsgegner dargestellte Zustand beschreibt − auch nach Auffassung des Verwaltungsgerichts − eine alljährlich zu Karneval festzustellende Störung der öffentlichen Sicherheit. [...]


Bei der danach gebotenen allgemeinen Folgenabwägung besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Durchsetzung des mit der streitigen Allgemeinverfügung angeordneten Glasverbots.


Zur näheren Begründung wird angeführt, dass das die Verfügung flankierende Kontrollkonzept nicht von vornherein untauglich zur Bekämpfung der von Glasbruch beim Karneval ausgehenden Gefahren sei. Es spräche vielmehr vieles dafür, dass dieses Konzept zu einer erheblichen Reduzierung der durch Glasbruch verursachten Schäden führen wird. Gegenüber diesen Gesichtspunkten wöge die mit dem Verbot einhergehende Belastung für die Karnevalisten, Glasbehältnisse in abgegrenzten Bereichen der Kölner Innenstadt zu Zeiten besonderen Besucherandrangs weder mitführen noch benutzen zu dürfen, weniger schwer. Dies gelte vor allem mit Blick auf die vom Antragsgegner hervorgehobenen Alternativen, die auf dem Markt erhältlich sind (v. a. Plastikflaschen, Dosen, Pappbecher u. a.).


Bewertung: Die Begründung des OVG NRW hält in meinen Augen einer näheren Prüfung nicht stand, da bereits der Prüfungsmaßstab falsch gewählt wurde.


Zwar ist das Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht mit dem den Erlass des Verwaltungsaktes rechtfertigenden Interesse gleichzusetzen - es muss grundsätzlich darüber hinaus gehen und kann sich aus dem Schutz bedeutender Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit ergeben. Der Grad der Gefahr ist zu berücksichtigen (vgl. Erbguth, Allg. VerwR, 3. Aufl. 2009, § 19b Rn. 7). Das macht aber allenfalls die Anordnung der sofortigen Vollziehung (materiell) rechtmäßig, schlägt aber (natürlich!) nicht auf die Rechtmäßigkeit des Grund-VAs durch.


Zutreffend hatte das VG Köln hier aber die saubere Unterscheidung der Rechtmäßigkeit des Grund-VAs und der der sofortigen Vollziehung vorgenommen und eben keine abstrakt-generelle Gefahr bzw. ein erhöhtes Gefahrenrisiko durch das Mitsichführen von Glasflaschen für gegeben gesehen und sich dabei auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes sowie des VGH BW gestützt, die vergleichbare Fallkonstellationen entschieden hatten. Der Grund-VA war damit rechtswidrig. Die Behörde darf also nicht eine (abstrakte) Allgemeinverfügung erlassen, sondern die zuständigen Ordnungsbeamten müssten konkret gegen die Flaschenwerfer bzw. -falschentsorger vorgehen. Da auch keine Tatsachenfragen, sondern Rechtsfragen zur Diskussion standen, ist auch bei einer summarischen Prüfung nach zutreffender - wohl überwiegender - Ansicht auf die sich stellenden Rechtsfragen einzugehen. Dies hat das VG Köln sorgfältig und in rechtlich nicht zu beanstandener Weise getan. Das Interesse an der sofortigen Vollziehung erlischt aber, wenn der Grund-VA offensichtlich rechtswidrig ist (Erbguth, a.a.O.). Dies ist hier der Fall, wie das VG Köln zutreffend festgestellt hat und das OVG NRW verkannt hat. Das OVG NRW hätte das Urteil des VG Köln also nicht aufheben dürfen und die aufschiebende Wirkung, die das VG wieder hergestellt hatte, bestätigen müssen.


Der Verweis auf die "besonderen Verhältnisse des Kölner Straßenkarnevals" in der vorgenommenen Interessenabwägung, könnte allenfalls dazu ausreichen die sofortige Vollziehung eines rechtmäßigen Grund-VAs zu rechtfertigen. Wenn der Grund-VA aber offensichtlich rechtswidrig ist, wie hier, vermögen solche allgemeinen Feststellungen die sofortige Vollziehung gerade nicht zu rechtfertigen, weil ein öffentliches Interesse an einem Vollzug eines offensichtlich rechtswidrigen VAs gerade nicht besteht bzw. bestehen darf. Mit der Rechtmäßigkeit des Grund-VAs hat sich das OVG NRW aber gar nicht befasst!


Umso unverständlicher wird die Entscheidung, da das OVG NRW selbst Zweifel an der Eignung und der Verhältnismäßigkeit der Allgemeinverfügung hatte. Hier pauschal festzustellen Rechtsfragen nicht im Eilverfahren erörtern zu können und sie dann auch nicht zu behandeln, genügt auch bei dringenden Eilverfahren nicht der nötigen Sorgfalt eines an Recht und Gesetz gebundenen Richters (Art. 1 Abs. 3 GG) bzw. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Er darf nicht sehenden Auges Unrecht für einen gewissen Zeitraum perpetuieren. In Streitfällen ist die aufschiebende Wirkung von Widerspruch bzw. Anfechtungsklage genau für diesen Zweck gedacht, um die Vollziehung (möglicherweise rechtswidriger) Verwaltungsakte zu verhindern.

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